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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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vorstellen, wie es wäre, eine Party zu besuchen. Und mit einem Mal fühlte ich mich älter als meine Eltern. Wie konnte ich je wieder über dumme Witze lachen oder mich an Klatsch beteiligen?
    » Ich will einfach nicht, Vater«, sagte ich und wandte mich ab.
    » Pass auf, dass du nicht in Selbstmitleid versinkst, Mädchen. Es gibt viele Menschen, die schlimmer dran sind als du. Unzählige. Du hast eine neue Chance bekommen. Du solltest sie nicht vergeben.«
    »Ich weiß«, sagte ich und wappnete mich innerlich für eine seiner Predigten, die von der Hungersnot in Irland handelten, von den Toten, die wie Brennholz aufeinandergestapelt wurden, davon, dass die Menschen die letzten Fetzen auskochten, die sie am Leibe trugen, und verspeisten, nur um etwas zu kauen zu haben. »Ich weiß«, sagte ich nochmals und ging mit Zinnober auf dem Arm in den hinteren Garten. Die Katze auf dem Schoß, setzte ich mich auf die alte Schaukel, stieß mich träge mit dem stärkeren Bein ab, und während ich vor und zurück schaukelte, erinnerte ich mich an das Gefühl der Trunkenheit, das mich als Kind beim Schaukeln immer erfasst hatte. Jetzt verspürte ich diesen Taumel nicht mehr; ich schaukelte einfach nur ein wenig vor und zurück, vor und zurück.
    Es war nur der Beginn unzähliger weiterer Auseinandersetzungen, die ich in den folgenden Jahren mit meinem Vater hatte.
    » Du solltest in die Welt hinausgehen, Sidonie«, sagte er mir immer wieder. » Das ist doch kein Leben für eine junge Frau, immer daheim bei ihrer alten Mutter und ihrem alten Vater.«
    » Aber ich mag es hier, Papa«, erwiderte ich, und inzwischen stimmte das sogar. Seit einiger Zeit gelang es mir, mich fortzubewegen, indem ich das Gewicht ganz auf die Beine verlegte. Gewiss, mein Gang war zwar noch immer langsam und schwerfällig, ich nahm noch immer die Krücken zu Hilfe, und da die Schienen meine Beine steif und unbeweglich werden ließen, ging ich mit leicht vorgebeugtem Oberkörper. Doch schließlich tauschte ich die verhassten Krücken gegen Stöcke aus. Und nachdem ich die Beinschienen insgesamt vier Jahre getragen hatte und meine Beine zusehends kräftiger geworden waren, konnte ich die langen Schienen durch kürzere ersetzen, die nur an den Knöcheln befestigt und nahezu von den Stiefeln verdeckt wurden. Mein linkes Bein war nun ziemlich stabil, doch musste ich noch immer das rechte nachziehen, sodass sich ein leichtes Hinken nicht vermeiden ließ.
    Es stimmte, früher war mir mein Gebrechen peinlich gewesen, und ich hatte mich in Selbstmitleid geübt, wie mein Vater zu Recht bemerkt hatte, sodass ich in Bitterkeit zu verfallen drohte. Aber dieser Zustand ging vorüber, und ich fand mich mit meinem kleinen, ruhigen Leben ab. Es war gut so. Jeder im Viertel kannte mich, und so bestand keine Notwendigkeit für irgendwelche Erklärungen. Ich war Sidonie O’Shea: Ich hatte die Kinderlähmung überlebt und half meiner Mutter, den Haushalt in unserem Haus in der Juniper Road zu führen. Und beim Anblick der mehrjährigen Pflanzen, die ich in unserem Garten gesät hatte, blieben die Leute stehen, um sie zu bewundern.
    Ich liebte unser kleines Haus, das wir von Mr und Mrs Barlow, unseren Nachbarn, gemietet hatten. Für mich strahlte es etwas Warmes, Menschliches aus: Der Wasserfleck an der Decke meines Schlafzimmers sah aus wie das Gesicht einer alten Frau, die mit offenem Mund lachte; das Kratzen der Lindenzweige am Wohnzimmerfenster hörte sich an, als streiften Schuhe mit weichen Sohlen beim Tanzen über den Boden; der Keller, wo die Kartoffeln und Zwiebeln und anderes Wurzelgemüse den Winter über lagerten, strömte einen vollen, erdigen Geruch aus.
    Seit die Arthritis meine Mutter zusehends behinderte, führte ich den Haushalt. Ich kochte und backte, erledigte die Wäsche, bügelte und hielt das Haus sauber. Als am Stadtrand von Albany eine neue Nähfabrik ihre Pforten öffnete, war es mit der Heimarbeit vorbei. Und obwohl uns nun diese Einnahmen fehlten, war ich insgeheim erleichtert, da mich die Näharbeit zuletzt schrecklich gelangweilt hatte. Dennoch war ich froh über die alte Nähmaschine, denn ich hatte begonnen, meine Kleider selbst zu nähen. Wenn ich neue Stoffe und Schnittmuster brauchte, musste ich zwar meinen Vater bitten, Mr Barlows Kleinlaster zu borgen und mich zu einem Laden für Nähbedarf zu fahren, aber wenigstens lief ich auf diese Weise nicht Gefahr, in den Bekleidungsgeschäften anderen jungen Frauen zu begegnen, die ich von früher

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