Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
die uns beiden Halt gaben, und bewegten uns durchs Haus wie zwei Rauchschwaden, die sich niemals berührten und sich doch in anmutiger Harmonie ergänzten. Jeden Abend nach dem Abendessen lasen wir sowohl die Zeitung als auch Bücher. Ich las noch immer Romane und er Biografien und Geschichtsbücher. Manchmal unterhielten wir uns über unsere Lektüre, tauschten zum Beispiel unsere Meinung über einen Zeitungsartikel oder über eine besonders erhellende Passage aus unserem jeweiligen Buch aus.
Wir hatten nur uns.
Doch das Hinscheiden meiner Mutter setzte meinem Vater nicht nur emotional zu, sondern auch physisch. Er schien zu schrumpfen, seine Bewegungen wurden zögerlicher. Und schließlich – ob nun etwas mit seinen Reflexen nicht stimmte oder ob es an seinem sich trotz Brille verschlechternden Augenlicht lag – wurde offensichtlich, dass seine Sehkraft nicht mehr ausreichte, um weiterhin seine Stelle als Chauffeur auszuüben. Bei seinem ersten Unfall streifte er beim Einparken des teuren, auf Hochglanz polierten Wagens seines Arbeitgebers nur einen Laternenpfahl, doch bald darauf folgte ein zweiter, als er mit der Motorhaube auf das geschlossene Garagentor prallte.
Nach diesem Zwischenfall erklärte ihm sein Arbeitgeber, er könne ihn nicht länger beschäftigen. Mein Vater sah dies ein, denn wozu war ein Fahrer gut, der zu einem Sicherheitsrisiko geworden war? Doch sein Arbeitgeber, ein freundlicher Mann, zahlte ihm eine Abfindung, die uns ein bescheidenes Auskommen ermöglichte.
Mein Vater war immer gern Auto gefahren und besaß einen 1910 Ford Model T. Einmal hatte er zu mir gesagt, dass man eine geglückte Existenz in Amerika an einem Stück Land und einem Automobil erkenne. Doch trotz ihrer sparsamen Lebensweise waren meine Eltern nie in der Lage gewesen, sich ein Grundstück oder Haus zu kaufen, und mein Vater erwähnte oft, wie glücklich wir uns schätzen könnten, Mike und Nora – Mr und Mrs Barlow – zu haben, die uns all die Jahre über in ihrem Haus wohnen ließen und nur eine bescheidene Miete verlangten. Den Ford Model T hatte er, als er noch angestellt war, bei einer Versteigerung gekauft, doch der Motor war defekt, und er hatte nie genug Geld für die Reparatur gehabt. Lange hatte mein Vater an seinem Traum festgehalten, den Wagen eines Tages zu fahren. Doch er sollte nie wahr werden, und als sich sein Augenlicht rapide verschlechterte, hatte er ihn längst aufgegeben. Trotzdem stand der Wagen in dem Schuppen hinter unserem Haus immer bereit, und bei schönem Wetter ging er samstags, bewaffnet mit einem Eimer voller Seifenwasser, mehreren Lappen und einem Fensterleder, zu ihm, um ihn vom Verdeck bis zu den Rädern zu waschen. An manchen Abenden nahm er hinter dem Lenkrad Platz und rauchte Pfeife; im Sommer setzte auch ich mich hin und wieder in den Wagen, um zu lesen. Die warmen Ledersitze und das glatte Holzlenkrad hatten etwas Tröstliches.
Eines Tages brachte mein Vater nach einem Friseurbesuch eine alte Ausgabe des Motor Age Magazine mit. Er redete mit so viel Begeisterung über seine Liebe zu Autos, wie ich es lange nicht erlebt hatte, und bei meinem nächsten Einkauf besorgte ich ihm die neueste Ausgabe der Automobilzeitschrift. Seite an Seite saßen wir dann auf dem Sofa und blätterten gemeinsam darin. Aus unerfindlichem Grund genoss ich den Anblick dieser schönen, schnittigen Modelle aus der aktuellen Produktion.
Kurz darauf fand er auf einem unkrautbewachsenen Schrottplatz ein Motorhaubenzierelement von Boyce Motometer und polierte es, bis es glänzte. Ein paar Wochen später trieb er in einem Secondhandladen einen Kühlerdeckel von Boyce Motometer auf. Und daraus wurde unser Hobby: Samstagmorgens gingen wir gemeinsam in die Innenstadt von Albany und durchstöberten die Secondhandläden und Autowerkstätten auf der Suche nach Zierelementen für Motorhauben und Kühlerdeckeln von Boyce. Auch durchforsteten wir akribisch die Automobilzeitschriften und bestellten, wenn wir fündig wurden, das gesuchte Stück, indem wir unserem Schreiben einen Scheck mit einer bescheidenen Summe beilegten. Unsere Sammlung wuchs und wuchs. Einmal im Monat nahm ich unsere Fundstücke aus der Kiefernholzvitrine im Wohnzimmer und polierte sie am Küchentisch. Mein Vater saß mir gegenüber und sah zu; ab und zu griff er nach einem Teil, um es näher zu betrachten.
Wir besuchten auch gemeinsam Automobilversteigerungen, einfach nur, um die spannungsgeladene Atmosphäre einer solchen Veranstaltung
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