Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Sie mochte sie nicht mehr, sondern war wütend auf sie, weil sie hatten, was sie nicht hatte. Sie wollte an ihrer Stelle sein. Als sie nach Paris gingen, flehte sie Monsieur Duverger an, sie ebenfalls auf eine gute Schule zu schicken, um später Kunst zu studieren. Doch er sagte Nein. Er gebe bereits ihrer Mutter genügend Geld, sodass sie sich ein Haus und ausreichend zu essen leisten konnte, und überdies zahlte er für mich, damit ich ihr zur Hand ging. Er sei nicht bereit, auch noch für Manons Ausbildung aufzukommen. Ihr Leben, so sagte er, sei gut genug, sie profitiere ohnehin schon von seiner Unterstützung. Seine Söhne hätten ihren Platz in seinem Herzen und sie einen anderen. Das müsse sie akzeptieren. Doch Manon wollte es nicht akzeptieren. Es passt nicht zu Manons Charakter, sich in etwas zu fügen, was ihr nicht gefällt.«
Natürlich nicht.
» Als ihre Mutter starb, verschlechterte sich Manons Situation immer stärker. Monsieur Duverger wurde zusehends von seiner Krankheit verzehrt und immer verwirrter. Er gab Manon kein Geld mehr und veräußerte das Haus, das er für Rachida gekauft hatte. Manon war inzwischen eine junge Frau und musste sich Arbeit suchen. Also begann sie als Bedienstete in einem französischen Haushalt, so wie ihre Mutter. Sie war immer wütend, sie war … ich habe den französischen Ausdruck dafür vergessen … jedenfalls gingen ihr Etienne und Guillaume nicht mehr aus dem Kopf, immer redete sie davon, wie ungerecht es sei. Ihre Wut schien immer mehr Besitz von ihr zu ergreifen.«
» Besessen – ist das das Wort, das du suchtest? Meintest du, sie war besessen?«
» Ja, genau. Sie war besessen. Sie sagte, sie wünsche Monsieur Duvergers Söhnen, dass sie genauso leiden müssten wie ihr Vater. Doch die beiden wohnten inzwischen in Paris. Dann kam eines Tages Guillaume zurück, und zwar in jenem Sommer, in dem er vor der Küste von Essaouira ertrank. Etienne kehrte zur Beerdigung seines Bruders nach Marrakesch zurück, blieb aber nur ein paar Tage. Nur um im Jahr darauf erneut zurückzukommen, diesmal zur Beerdigung seiner Mutter, die ganz überraschend an einem Herzinfarkt gestorben war. Und wieder ein Jahr darauf starb dann sein Vater, und Etienne kam ein weiteres Mal nach Marrakesch. Vor sieben Jahren. Manon ging zur Beerdigung und sah ihn dort.«
» Und dann?«
» Über die Jahre war Manon hart und unerbittlich geworden. Gewiss, sie war noch nie ein besonders freundlicher Mensch gewesen und hatte schon immer nur an sich gedacht. Und sie war schön und nutzte ihr Aussehen, um die Männer zu verführen.«
Ich nickte. Es fiel mir nicht schwer, mir Manon mit ihrer atemberaubenden Schönheit als junge Frau vorzustellen, die sich ihrer Macht über Männer sehr wohl bewusst war. Aber auch als verbitterte Frau. Ich wusste, dass die Bitterkeit, die sie ausstrahlte, tief aus ihrem Inneren kam.
» Sie sah Etienne also bei der Beerdigung ihres Vaters. Und dann?«, fragte ich.
Aszulay schwieg eine Weile, ehe er erwiderte: » Dann ging Etienne nach Amerika«, sagte er. Wieder herrschte Stille, und nur Badous sanftes Atmen war zu hören. » C’est tout«, sagte er. Das ist alles.
Doch ich wusste, dass das nicht alles war. Da war etwas, was er mir nicht sagen wollte.
» Hat ihm Manon damals gesagt, dass sie seine Halbschwester ist? Es gab ja keinen Grund mehr, es zu verheimlichen. Ihre Mutter war tot, ebenso wie der Rest von Etiennes Familie. Hat sie es ihm gesagt, um ihm wehzutun, um Etienne die Achtung vor seinem Vater zu nehmen?« Wieder stellte ich mir Manon vor, wie sie Etienne wütend und triumphierend erzählte, dass das gleiche Blut in ihren Adern floss.
» Der Rest der Geschichte, der mit Etienne zu tun hat, gehört Manon«, sagte Aszulay. » Ich kann ihn nicht erzählen.«
» Aber du und Manon, ist seid die ganze Zeit über Freunde geblieben«, sagte ich.
» Ein paar Jahre lang haben wir uns aus den Augen verloren. Zu der Zeit, als Manon zu der französischen Familie zog, für die sie arbeitete, habe ich Marokko verlassen.«
» Du bist von Marokko weggegangen? Wohin denn?«
» Hierhin und dorthin. Ich war jung und strotzte vor Kraft. Ich hatte etwas Geld gespart, das ich meiner Mutter gab. Zuerst ging ich nach Algerien, dann nach Mauretanien und Mali. Als ich jung war, mochte ich es, von einem Ort zum anderen zu reisen. Im Grunde meines Herzens bin ich eben ein Nomade.« Er lächelte.
Ich betrachtete die Kerze und ihren Widerschein in der Windschutzscheibe.
» Und
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