Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
besuchten, und wie vertraut er Aszulay angesehen hatte. Ich rief mir die zahlreichen anderen Jungen und jungen Männer in Erinnerung, die ich in den Souks erblickt hatte, wo sie irgendwelche Karren zogen und schwere Lasten auf den Schultern durch das Straßengedränge der Medina trugen, oder jene, die in der Ville Nouvelle Taxi oder eine calèche fuhren. Ich war immer davon ausgegangen, dass es sich um die Söhne der jeweiligen Geschäftsinhaber handelte. Doch nun wusste ich, dass sie möglicherweise Jungen vom Land waren, so wie Aszulay einst, die in die Stadt verkauft worden waren, um sich dort als billige Arbeitskräfte zu verdingen.
» Monsieur Duverger hat mich also gekauft, um Manons Mutter bei der Arbeit in ihrem Haus zu entlasten. Er wollte, dass Rachida nicht mehr so viel schuften musste, und so erledigte ich die schweren Tätigkeiten für sie. Manon ist ein Jahr jünger als ich, und wir wurden Freunde. Sie war sehr nett zu mir.«
» Manon? Manon war nett zu dir?«
Der Sturm ließ nach.
Das Kerzenlicht flackerte über Aszulays Gesicht. » Sie half mir, mein Französisch zu verbessern. Sie brachte mir Lesen und Schreiben bei. Ich weiß nicht, woher sie es konnte. Schließlich war sie die Tochter einer arabischen Dienerin und konnte keine Schule besuchen. Aber du weißt ja, wie klug sie ist.«
Mein Gesichtsausdruck musste wohl meine Abneigung gegen Manon widergespiegelt haben, denn er hielt inne.
» Erzähl weiter«, sagte ich.
» Wir waren von Anfang an Freunde, und schließlich waren wir mehr als nur Freunde.«
Also bestand die Sache zwischen ihnen – diese Liebesbeziehung – schon, seit sie kaum mehr als Kinder gewesen waren.
» Wir wurden wie Bruder und Schwester«, setzte Aszulay hinzu, und ich sah ihn verblüfft an. Aszulay erwiderte meinen Blick.
» Bruder und Schwester?«
Er nickte. » Wir kümmerten uns umeinander. Wir waren beide einsam. Ich vermisste meine Familie. Und sie … ich weiß nicht genau, was sie vermisste. Jedenfalls strahlte sie eine tiefe Einsamkeit aus.«
» Aber … das heißt …«
» Was?«
Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über die Lippen. » Die ganze Zeit habe ich … nun, ich bin davon ausgegangen, dass du und Manon … dass ihr eine Liebesbeziehung hättet.«
Er sah mich ungläubig an. » Manon und ich? Aber wie kommst du denn auf diese Idee?«
» Was hätte ich denn sonst denken sollen?«, entgegnete ich. » Wie hätte ich denn die Beziehung zwischen euch deuten sollen? Außerdem habe ich gesehen, wie sich Manon dir gegenüber gab.«
» Manon kann nicht anders. Sobald ein Mann in der Nähe ist, spielt sie die Verführerin. Aber … glaubst du wirklich, ich würde mich mit einer Frau wie Manon einlassen?«, sagte er ruhig, den Blick noch immer fest auf mich gerichtet, und abermals wich ich ihm aus und sah auf Badou hinunter.
Ich blieb ihm die Antwort schuldig, auch wenn ich am liebsten gesagt hätte: Nein, natürlich hasste ich den Gedanken, dass du sie begehrst und abhängig von ihr bist. Ich hasste den Gedanken, dass du ihr Liebhaber seist, dass du dich von einer so hinterhältigen, gerissenen Frau verführen lässt. Du stehst in jeder Beziehung über ihr. Doch stattdessen betrachtete ich noch immer Badous schlafendes Gesicht und versuchte, meinen Atem zu kontrollieren.
» Früher habe ich ihr geholfen, weil ich mich durch unsere Kindheit mit ihr verbunden fühlte, doch nun … Nun geht es mir nur noch um Badou.« Aszulay ließ meine Hand los. Er zog Badou die babouches aus und umfasste mit den Händen dessen nackte Füße.
» Und daher kenne ich auch Etienne und Guillaume«, fuhr er fort. » Manchmal bin ich mit Manon ins Haus der Duvergers gegangen. Sie schenkten mir keine Beachtung, ich war ja nur ein Bauernjunge, der Manons Mutter die schwere Arbeit abnahm. Doch ich beobachtete sie und lernte sie dadurch sehr gut kennen.«
Ich versuchte, mir den jungen Aszulay als Dienstboten vorzustellen, unter dessen Augen die Jungen der wohlhabenden französischen Familie ihr sorgloses Leben führten. Ich malte mir einen Jungen aus, der wie Badou aussah, nur ein bisschen älter, mit wachsamem Blick und ernstem Ausdruck.
Plötzlich schämte ich mich für Etienne, dafür, wie er Aszulay behandelt haben musste – wahrscheinlich hatte er ihn einfach ignoriert. Etienne, der alles hatte, und Aszulay, der nichts hatte. Doch heute – wer von beiden besaß mehr?
» Als wir älter wurden«, fuhr Aszulay fort, » sprach Manon in einem fort von Etienne und Guillaume.
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