Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Füße umfasst hielt, sodass der Körper des Kleinen eine Brücke zwischen uns bildete. Ich zog die Wolldecke unter mir hervor und breitete sie über Badou.
» Kein Leben ist unbedeutend«, sagte Aszulay leise. » Das Leben eines Vogels ist ebenso wichtig wie das eines Königs. Einfach nur anders.«
Und dann machte ich einen Lufthauch aus und spürte Aszulays Gesicht mehr, als dass ich es sah, vor meinem. Ich streckte die Hand aus und tastete über seine Wangenknochen, und im nächsten Moment senkten sich seine Lippen auf meine.
Badou rührte sich, und wir fuhren auseinander.
» Nun erzähl mir deine Geschichte.« Aszulays Stimme war kaum mehr als ein Flüstern in der Dunkelheit.
Eine Weile schwieg ich, dann begann ich zu erzählen.
SECHSUNDDREISSIG
L angsam und mit steifem Nacken erwachte ich, weil ich den Kopf die ganze Zeit ans Fenster gelehnt hatte. Ich rollte ihn mehrmals von einer Seite auf die andere und sah dabei durch die Windschutzscheibe. Der Wind hatte sich ausgetobt, und kein Lufthauch bewegte die Morgenluft.
Aszulay und Badou kauerten um ein kleines Feuer; ein dampfender schwarzer Zinntopf stand auf einem brennenden Haufen aus Zweigen.
Ich stieg aus dem Lastwagen. Sofort war ich mir der Intimität bewusst, die zwischen Aszulay und mir entstanden war. Es lag nicht so sehr an unserem Kuss als vielmehr an der Tatsache, dass wir uns im Laufe der vergangenen Nacht die Einzelheiten unseres jeweiligen Lebens erzählt hatten.
» Wir haben schon gefrühstückt«, sagte Aszulay, den Blick auf mich geheftet, während ich auf das Feuer zukam. » Setz dich und iss etwas.« Seine Stimme klang wie immer, doch die Art, wie er mich ansah, sprach eine andere Sprache.
» Hast du denn Proviant mitgebracht?«, fragte ich lächelnd und machte mich daran, mich auf die Erde niederzulassen, was wegen meines Beins jedoch ziemlich umständlich war. Doch Aszulay deutete auf einen großen Stein, über den er die Wolldecke aus dem Wagen gebreitet hatte. Dankbar für seine Umsicht ging ich hinüber und setzte mich darauf.
» Die Menschen in Marokko trauen dem Wetter nie«, erklärte er und lächelte vielsagend.
Ich rief mir in Erinnerung, dass auch Mustapha und Aziz stets Proviant im Kofferraum des Citroëns mit sich führten. Mit dem Ende seines Turbans hob Aszulay den Topf vom Feuer und leerte den Inhalt in einen Zinnbecher, in den er, wie ich sah, Pfefferminzblätter und braunen Zucker gegeben hatte. Dann hob er, wieder unter Zuhilfenahme seines Turbans, den Becher hoch und stellte ihn vor mich hin. »Badou, gib Sidonie bitte ein Brot.«
Badou reichte mir einen der kleinen, dicken Fladen, die in seinem Schoß lagen. Ich brach ein Stück ab und tunkte es in den Tee. Plötzlich verspürte ich einen Heißhunger, und als ich es hinuntergeschlungen hatte, war der Tee so weit abgekühlt, dass ich ihn trinken konnte.
Währenddessen spielte Badou mit Kieselsteinen, die er auftürmte und wieder umstieß. Als er zu mir aufsah, lächelte ich ihn an, während ich meinen Tee austrank.
» Schwitzt du nicht an den Füßen, Sidonie?«, fragte er, und ich dachte an Zohra, die mich ebenfalls aufgefordert hatte, die Schuhe auszuziehen.
» Manchmal schon«, erwiderte ich.
» Warum trägst du immer so dicke Schuhe, du könntest doch auch babouches anziehen?«
» Ich muss diese Schuhe tragen. Wegen meines Beins« – ich berührte mein Knie – » tue ich mich ohne Schuhe schwer beim Gehen.« Ich zeigte auf die erhöhte Schuhsohle. » Dieses Bein ist verkürzt, deswegen brauche ich diesen Schuh.«
Er nickte und musterte neugierig den Schuh. » Brahim, ein Junge in unserer Straße, hat auch ein zu kurzes Bein. Aber er kann trotzdem schnell laufen und Fußball spielen.« Er legte den Kopf schief. » Du siehst jetzt wie Maman aus.«
» Im Ernst?« Ich ließ mir nicht anmerken, dass mich seine Bemerkung verunsicherte. Manon war von einer rauen, sinnlichen Schönheit, und nie wäre ich auf die Idee gekommen, mich mit ihr zu vergleichen.
» Oui!«, sagte er ganz ernst. » Ja, du schaust wie Maman aus. Onkel Aszulay!«, rief er. » Sidonie sieht jetzt aus wie Maman!«
Aszulay hatte Erde über das Feuer gehäuft, um es zu ersticken. Er warf mir einen kurzen Blick zu, doch seine Miene verriet nicht, was er dachte. » Nun kommt, wir müssen los.«
Als Badou auf die Sitzbank kletterte und Aszulay hinter ihm auf den Fahrersitz steigen wollte, hielt ich, die Hand auf dem Türgriff, inne. » Aszulay, könnte ich vielleicht den Lastwagen das
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