Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
sie davon hielt, mit mir nach Marrakesch zu ziehen und unsere Kinder dort aufzuziehen, doch allein die Vorstellung erschreckte sie, denn sie hatte ihr ganzes Leben im Ourika-Tal verbracht. Also fand ich mich mit unserem Leben ab und bemühte mich, in diesen wenigen Jahren, es uns so angenehm wie möglich zu machen. Doch nach …« Wieder unterbrach er sich für einen Moment. » Nachdem ich Iliana und die Kinder verloren hatte, hielt mich nichts mehr im Dorf. Ich wusste, dass ich dort nicht mehr glücklich werden könnte.«
Eine Weile saßen wir schweigend im Wagen und lauschten dem Wind, der zu einem Murmeln abgeebbt war.
» Also kehrte ich nach Marrakesch zurück und suchte mir Arbeit. Natürlich sah ich Manon wieder. Sie hatte ihre Stelle bei der französischen Familie aufgegeben und lebte von den Zuwendungen verschiedener Männer.«
Ich konnte mir vorstellen, was er damals von Manon gehalten haben musste: Frauen wurden entweder Ehefrauen oder Mätressen – Prostituierte mit anderem Namen. Dazwischen gab es nichts. Für eine Frau wie Manon gab es keine Bezeichnung.
» Doch ihr Glück hatte sie noch immer nicht gefunden«, fuhr er fort. » Damals waren wir beide unglücklich, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Ich trauerte um meine Familie, wusste jedoch, dass dieser Schmerz, damals noch tief und beständig, eines Tages vergehen oder zumindest nachlassen würde.«
Ich konnte es kaum ertragen, Aszulay ins Gesicht zu sehen. Sein Ausdruck war wie immer ehrlich, doch diesmal war er auch verletzlich, zu verletzlich.
» Manons Unglücklichsein hingegen war von anderer Art. Es wurzelte in ihrer Wut. Sie hatte das Gefühl, um ein glückliches Leben betrogen worden zu sein, und war nicht in der Lage, sich ein neues, zufriedenes Leben aufzubauen. Irgendetwas fehlt tief in ihrem Innern. Sie klammerte sich an ihre alten Ressentiments fest, weil sie nicht bekommen hatte, was ihr zustand – und wurde schließlich zu einem seelischen Krüppel.«
Aszulay hatte das Wort » Krüppel« unbewusst benutzt; offensichtlich sah er mich nicht auf diese Weise, noch ahnte er, dass er mich damit verletzte, indem er mich an meine eigene Situation gemahnte. Meine eigenen Ressentiments.
» Doch als Badou geboren wurde – ich glaube, dass sie weder mit einer Schwangerschaft gerechnet noch sie gewollt hatte –, änderte sich etwas in ihr.«
» Und was ist mit Badous Vater?«
Er richtete seinen Blick von der Flamme weg auf mich. » Was soll mit ihm sein?«
» Hat sie denn kein bisschen Glück bei ihm gefunden?«, fragte ich.
Aszulay schüttelte den Kopf. »Ich hatte das Gefühl, dass sich Manons Verzweiflung mit Badous Geburt noch verstärkte. Sie war nicht mehr jung und saß mit einem vaterlosen Kind da. Sie kam mit ihrer Mutterrolle nicht zurecht. Sie duldet ihn nur, doch obwohl sie gewiss keine gute Mutter ist, fügt sie ihm kein Leid zu.«
Während ich beobachtete, wie sich Badous Brust im Schlaf hob und senkte, dachte ich an Falida und ihre zahlreichen blauen Flecken. » Sie vernachlässigt ihn. Manchmal hat er Hunger und ist schmutzig«, sagte ich. Es gefiel mir nicht, dass Aszulay Manon und die Art, wie sie Badou behandelte, rechtfertigte.
» Ich glaube, dass Manon nicht fähig ist, ein Kind auf die Weise zu lieben, wie es für eine Mutter natürlich ist«, erwiderte er. » Wie ich sagte, etwas fehlt in ihrem Inneren. Wenn ich daran denke, wie meine …« Er ließ den Satz unbeendet, ich wusste aber, dass er wieder an seine Frau und zwei Kinder dachte. Er hielt noch immer die kleinen Füße des Jungen umfasst, und ich betrachtete, wie sich seine großen Hände liebevoll darum schlossen.
Bestimmt füllte Badou ein wenig die Leere aus, die der Tod seiner Kinder in seinem Leben hinterlassen hatte.
Der Wind kam jetzt aus einer anderen Richtung und wisperte listig durch die Ritze am oberen Rand des Fahrerfensters, und plötzlich erlosch mit einem Zischen die Kerze.
» Und nun du«, sagte Aszulay.
» Ich?« Ich konnte in der Dunkelheit nichts erkennen.
» Deine Geschichte. Ich habe dir meine erzählt, jetzt bist du an der Reihe.«
» Aber … meine ist überhaupt nicht interessant. Im Vergleich zu deiner, habe ich …«
» Warum glaubst du das?«
» Mein Leben ist unbedeutend.«
Ich hörte ein Rascheln und nahm wahr, wie er Badou auf die Sitzbank zwischen uns legte. Ich spürte die Haare des Jungen an meiner Hand und hob sanft seinen Kopf in meinen Schoß. Dabei stellte ich mir vor, wie Aszulay noch immer dessen
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