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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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mir die Karawane aus der Nähe anzusehen. Ich wusste, man hätte ein solches Verhalten als ungebührend betrachtet, als ein weiteres Beispiel für die Dreistigkeit, die die Ausländer oftmals an den Tag legten, und doch schienen meine Augen danach zu lechzen, mehr zu sehen, als ihnen erlaubt war.
    Wie zuvor bei meiner Ankunft in Tanger hatte ich nicht erwartet, von solchen neuen Empfindungen bestürmt zu werden. Oder ich hatte bei meiner Abreise aus Albany einfach nicht darüber nachgedacht, welche neuen Eindrücke mich erwarteten und wie sie mich berühren würden, denn in Gedanken war ich nur bei Etienne gewesen.
    Die Straße wand sich hinauf und hinab, und schließlich entschwand das Meer für etliche Meilen unserem Blick, bis es, als wir den höchsten Punkt einer Erhebung erreichten, mit einem Mal wieder vor uns lag. Diese Region Marokkos schien ein Meeresparadies zu sein, mit seinen langen breiten Sandstränden, die hie und da von Olivenhainen oder landwirtschaftlich genutzten Flächen unterbrochen wurden. Wir kamen durch zahlreiche winzige Dörfer, die von einer Mauer eingefriedet waren und von einem Minarett überragt wurden.
    Als wir einige Stunden später anhielten und ausstiegen, hatte sich die Luft verändert. Sie war dick, fast milchig, und erinnerte mit den Sonnenstrahlen, die durch die Luftschichten stachen, ein wenig an die langen Winternebel bei uns zu Hause. Neben dem Wagen streckte ich meine verspannten Glieder, während die Männer zu einer Palmengruppe in der Nähe der Straße gingen, deren Palmwedel sich in der Meeresbrise mit einem metallischen Klirren bewegten. Neugierig sah ich den beiden nach, doch als sie sich breitbeinig mit dem Rücken zum Wagen stellten, wandte ich rasch den Blick ab. Während der letzten Stunde hatte ich mir den Kopf über das Toilettenproblem zerbrochen, aber das Thema war allzu peinlich, als dass ich es gegenüber diesen beiden Fremden hätte zur Sprache bringen können. Doch als Mustapha und Aziz zum Wagen zurückgeschlendert kamen, deutete Aziz zu den Palmen und sagte: » Allez, Madame, allez«, und ich tat wie mir geheißen und begab mich zu der Palmengruppe, in der Hoffnung, dort bei meiner intimen Verrichtung meine Würde wahren zu können.
    Als ich zum Wagen zurückging, war ich verlegen und fragte mich, wie ich den beiden gegenübertreten sollte, doch Mustapha und Aziz lehnten mit verschränkten Armen an der Karosserie, plauderten und deuteten hie und da die Straße hinunter. Es waren meine eigenen amerikanischen Moralvorstellungen, die mich in diesem wilden Land so unsicher fühlen ließen, die beiden Männer hingegen waren vollkommen unbekümmert.
    Gerade als ich wieder einsteigen wollte, bemerkte ich vor der Silhouette der Bergkette eine sich bewegende Linie, die sich dunkel vor der helleren Vegetation abhob. Es war eine Karawane, doch diese bestand aus schwer bepackten Eseln oder Pferden und Kindern, die neben den Tieren herhüpften.
    Wo diese Menschen wohl herkamen oder hingingen? Ich versuchte mir ein solches Leben vorzustellen, das immerzu in Bewegung war und sich ständig veränderte. Ganz anders als meines, das bis vor kurzem noch von Stille und Stillstand geprägt gewesen war.
    Als wir das nächste Mal anhielten, diesmal vor den Toren eines kleinen Städtchens, das laut Aziz Larache hieß, öffnete ich die Wagentür.
    Doch Aziz schüttelte den Kopf. » Nein, für Ladys hier nicht gut«, sagte er. » Ort nicht gut für eine Lady.« Er bedeutete mir mit einer Handbewegung vor seinem Gesicht, dass es für mich nicht angebracht sei, unverschleiert den Ort zu betreten. » Bleiben Sie im Wagen«, sagte er. » Und passen Sie auf, dass Kinder keine Häute stehlen.« Er wies zum Wagendach. » Mustapha und ich holen Essen. Bald wieder zurück.«
    Also musste ich mich mit dem kleinen Ausschnitt zufriedengeben, der sich mir durch das offene Tor in der Stadtmauer bot. Die Gebäude waren in einem strahlenden Blau gestrichen und die gewölbten Dächer mit roten Ziegeln bedeckt, sodass das reizende Städtchen ein wenig an ein spanisches Bergdorf erinnerte. An der Außenseite der Mauer waren Esel angepflockt, die mit gesenktem Kopf im Schatten standen. Während ich im Wagen saß, strömten kleine Jungen, von denen der älteste kaum mehr als acht oder neun gewesen sein mochte, langsam am Tor zusammen und traten nach und nach aus dem Schutz der Mauer, um sich immer näher heranzuwagen. Sie trugen zerlumpte Kleidung, hatten rasierte Schädel und waren barfüßig.

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