Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Schicksal betrachten.«
Während er geradeaus starrte und das Lenkrad so fest umklammerte, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, sagte er: » Du glaubst also an das Schicksal, Sidonie?«
» Ich weiß nicht, Etienne. Aber … Wir haben zwar nicht damit gerechnet, doch solche Dinge passieren nun mal.« Ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Ich wusste nur, welche Reaktion ich mir von ihm erwünscht hatte, dass er gelächelt und mir gesagt hätte, wie gern er die Freude über dieses Kind mit mir teilen würde. Ich wollte, dass er jetzt zu mir sagte: Heirate mich, Sidonie, heirate mich, und wir werden den Rest unseres Lebens zusammen verbringen. Mit unserem Kind. Mit unseren Kindern. Während der letzten Wochen, in denen ich mir sicher gewesen war, ein Kind unter dem Herzen zu tragen, hatte ich mir Szenen ausgemalt, von denen ich nie zuvor gedacht hätte, sie könnten jemals Teil meines Lebens sein. Etienne und ich, wie wir an einem Sommertag auf einem grasbewachsenen Hügel mit unserem Kind spielten. Weihnachten mit einem geschmückten Baum und mit in buntes Papier eingewickelten Geschenken: farbigen Puppen oder einem Steckenpferd, hübschen, gesmokten Kleidern oder kleinen Westen und Hosen. Die ersten wackligen Kinderschritte, der erste Schultag.
Das Bild, das ich von mir selbst gemalt hatte, war das einer traditionellen Mutter mit Ehemann und Kindern. Ich, die Frau eines Arztes und Mutter. Und diese Vision war groß und in erreichbarer Nähe.
Während der schweigsamen Fahrt erkannte ich in meiner Verzweiflung, wie sehr ich dies wollte, mehr als ich je etwas gewollt hatte. Unwillkürlich schob sich das Bild des Faulbaumbläulings vor mein geistiges Auge, wie er mit bebenden Flügeln auf einer wilden Lupine landete.
Etienne lenkte den Wagen an den Straßenrand und starrte durch die Windschutzscheibe geradeaus. Es schneite leicht, und die Straßenränder und die dunklen, nackten Äste der Bäume, die die Straße beidseitig säumten, nahmen weiche und verschwommene Konturen an.
» Es tut mir leid, Sidonie«, sagte er in einem Ton, den ich nicht zu deuten vermochte. » Ich weiß, dass du dir ein anderes Verhalten von mir erhofft hattest.«
Ich sah zum Beifahrerfenster hinaus und betrachtete die abgestorbenen Grashalme am Straßenrand, die gelb und spröde durch den Schnee stachen. Ich war durcheinander. Wünschte er sich nicht auch eine Familie? Willst du kein Kind, Etienne? Ein Kind mit mir? Willst du mich nicht heiraten und Ehemann und Vater sein? So viele Emotionen bestürmten mich: Schock, Traurigkeit und Enttäuschung und, ja, auch Wut, und alle Gefühle vermischten sich zu einem wirbelnden Strudel aus dunklen Farben.
Ich blickte ihn wieder an. » Was sollen wir jetzt machen, Etienne?« Ich sprach langsam und deutlich mit leiser, kontrollierter Stimme. » Ich weiß, dass wir das nicht geplant haben. Aber … aber ich will dieses Kind. Ich will es mehr als irgendetwas anderes.« Bei den letzten Worten war meine Stimme lauter geworden, und ich schloss die Lippen, ehe ich noch etwas anderes sagte, was ich so gern gesagt hätte: Und ich will dich mehr als irgendetwas anderes. Und ich will, dass du mich auf dieselbe Weise willst.
Nein, ich würde mich nicht erniedrigen und betteln.
Da sah er mich an, zum ersten Mal, seit wir die Klinik verlassen hatten, und aus irgendeinem Grund empfand ich Mitleid mit ihm. Plötzlich wusste ich, wie er als Junge dreingeschaut haben musste, unsicher und verängstigt.
Vor allem, als er von dem erschütternden Tod seines Bruders erfahren hatte. Und wegen dieses Blicks war ich imstande, die nächsten Worte in sachlichem Ton zu sprechen, obwohl ich noch Sekunden zuvor zutiefst verwirrt gewesen war.
» Du bist mir nichts schuldig, Etienne«, sagte ich ruhig. » Du hast mich nicht verführt. Ich wusste, was ich tue.« Mein Herz pochte, während ich fortfuhr. » Wenn du willst, kannst du gehen, ich halte dich nicht.« Es waren mutige, falsche Worte. Nicht das, was ich zuvor gesagt hatte – dass er mich nicht verführt hatte –, das stimmte. Doch meine Behauptung, ich ließe ihn frei, ich erwartete nicht, dass er bei mir bleib, mich heiratete, das war ein Bluff.
Und der Bluff barg ein großes Risiko. Was, wenn er sagte: Du hast recht, Sidonie, wir werden uns trennen. Das ist sicherlich zu unserem Besten.
Was würde ich dann tun? Ich hatte keinerlei Erfahrung mit Kindern. Ich hatte nie auch nur ein Baby in den Armen gehalten. Und was würde ich tun, wenn mein
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