Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Sein Ziel ist es wohl, jeden Baum und jede Pflanze heimisch zu machen, die diesem Klima standhalten.«
Als er geendet hatte, herrschte kurz Schweigen. Ich überlegte mir, dass es unhöflich gewesen wäre, seine Ausführungen unkommentiert zu lassen, und fühlte mich bemüßigt, etwas zu sagen: » Malt Monsieur Majorelle denn nicht mehr?«
Mr Russell machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre meine Frage nicht die Mühe einer Antwort wert. » Ich vermute mal, dass er kein bedeutender Künstler ist. Außerhalb von Marrakesch scheint niemand seinen Namen zu kennen. Aber bitte, Miss O’Shea, falls Sie Lust dazu haben, können Sie uns gern begleiten. Es wird bestimmt ein interessanter Ausflug werden.«
» Oh, danke, aber …«, begann ich, nur um den Satz wieder abzubrechen. Der Gedanke, den Nachmittag in einem wunderschönen Garten zu verbringen, statt in der drückenden Hitze in der Stadt herumzulaufen, war auf einmal verlockend. Außerdem würde ich ohnehin nicht die Energie haben, meine Suche an diesem Nachmittag fortzusetzen. Vielleicht würde es mir guttun, für ein paar Stunden auf andere Gedanken zu kommen. » Also gut, danke. Ich würde mich Ihnen sehr gern anschließen.«
Mr Russell hatte eine Kalesche gemietet. Während wir durch die grünen Boulevards der Ville Nouvelle fuhren, die von Bäumen gesäumt wurden und in deren Mitte sich Blumenbeete entlangzogen, fischte er eine Zigarre aus seiner Brusttasche. Mrs Russell sprach nur wenig, ihr Mann hingegen nahm den Faden unserer Unterhaltung wieder auf, kaum dass wir in den Ledersitzen der offenen Kutsche Platz genommen hatten. » Es heißt, Jacques Majorelle habe sein Atelier im Garten, außerdem hat er einige bemerkenswerte Vogelarten dort angesiedelt. Er muss wohl beschlossen haben, eine Oase der Ruhe und duftender Schönheit inmitten einer lärmenden Stadt zu kreieren.« Er knipste das Ende seiner Zigarre mit einem Zigarrenabschneider ab, ehe er ein Streichholz anriss, sie anzündete und genießerisch lange Rauchwolken in die Luft paffte. Der Rauch stieg über seinen Kopf hinweg, und er ergriff abermals das Wort.
Allmählich gelang es mir, sein Geplauder auszublenden und meinen Gedanken nachzuhängen.
Während wir in nordwestlicher Richtung fuhren, schwang der Kutscher in kunstvollen Bögen die Peitsche über seinem Kopf und ließ sie immer wieder über dem Rücken seiner beiden Pferde vor- und zurückschnellen, ohne sie zu berühren.
Träge sah ich zu, wie sich die Rauchkringel aus Mr Russells Zigarre mit dem Peitschenwirbel über unseren Köpfen am blauen Himmel vermischten.
Besonders bemerkenswert am Jardin Majorelle fand ich das Spiel zwischen Schatten und gefiltertem Sonnenlicht sowie die Farben der zahlreichen Rundbögen und riesigen Terrakottapflanzenkübel. Sie waren grün, gelb und blau gestrichen. Das überall anzutreffende Blau war von einem lebendigen, nahezu elektrisierenden Farbton. Ich versuchte, eine passende Bezeichnung dafür zu finden: vielleicht Kobalt oder eine Azurit- und Lapislazulischattierung, aber keine dieser Bezeichnungen vermochte es, den Ton exakt zu treffen. Dieses Blau schien von einer ganz eigenen Beschaffenheit zu sein.
Außerdem spiegelten die Farben des Gartens die strahlenden Farbtöne Marrakeschs wider.
Kaum waren wir angekommen, stellte mich Mr Russell einem Mann mit weißem Panamahut vor – der sich als Monsieur Majorelle entpuppte und uns liebenswürdig begrüßte. »Ich bin glücklich, wenn ich mein Fantasiewerk Besuchern zeigen kann«, sagte er auf Französisch. Mr Russell sprach ein wenig Französisch und übersetzte für seine Frau. Monsieur Majorelle führte uns einen schattigen Weg aus gestampfter roter Erde entlang, der hie und da von anderen Pfaden gekreuzt wurde. Das Sonnenlicht, das durch das hohe, sanft wogende Blattwerk rieselte, kreierte ein rhythmisch tanzendes Muster auf unseren Gesichtern. Überall waren weiß gekleidete Marokkaner am Graben, Hacken und Pflanzen.
» Der Garten ist für mich ein Ausdrucksmittel, geradezu von mystischer Kraft. Mit ihm versuche ich, etwas zu schaffen, was ich hier drinnen habe« – Monsieur Majorelle tippte sich an die Schläfe. » Ein Design aus pflanzlichen Formen und Schattierungen. Ich liebe Pflanzen.«
Es war unschwer zu erkennen, dass die Komposition des Gartens sowohl in der Platzierung von Farben als auch der Anordnung von Pflanzen und der ihm innewohnenden Struktur an ein Gemälde erinnerte. Ich blickte zu dem niedrigen, gefliesten Becken in der
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