Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
sobald ich Dinge aus seiner Vergangenheit berührte, über die er nicht sprechen wollte.
Bei der Erinnerung an jenes Gespräch wurde mir klar, dass es keinen Sinn machte, in der Medina nach Etienne zu suchen: Hier lebten nur Marokkaner. Während ich vor dem Tor stand und im Begriff war, wieder kehrtzumachen, hörte ich hinter mir jemanden » Madame!« rufen.
Ich drehte mich um und sah eine Reihe Pferdewagen, die die Allee säumten. Überall in der Neustadt sah man solche offenen Wagen mit ihren Fahrern, die ihre Pferde durch den Verkehr lenkten und ihre französischen Passagiere herumfuhren.
Nun eilte ein Fahrer auf mich zu. » Madame! Madame, un tour de calèche. Bitte, mitkommen und in meine calèche fahren! Ich Ihnen Marrakesch zeigen. Ich Sie ganz Marrakesch mitnehmen.« Er kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu und grinste mich allzu vertraulich und überfreundlich an. Ich schüttelte den Kopf und wich zurück.
Plötzlich rempelte mich ein marokkanischer Junge, den ich ungefähr auf fünfzehn schätzte, mit voller Wucht an, sodass er mich beinahe umgerissen hätte und ich meine Handtasche fallen ließ. Der Kutschenfahrer rief ihm etwas zu. Ich bückte mich, um die Handtasche aufzuheben, und als ich mich wieder aufrichtete, bemerkte ich, dass mich der Junge mit einer Verachtung anstarrte, die mir einen Schauder über den Rücken jagte. Er sagte nichts, doch dann spuckte er nach mir, wie zuvor schon der Mann in dem Souk in Sale, und sein Speichel traf meinen Schuh.
Nun kam mir auch wieder die verschleierte Frau in den Sinn, die mich durch das geöffnete Wagenfenster angezischt hatte, als wir mit der Fähre den Fluss überquerten.
Der Pferdewagenfahrer rannte zu dem Jungen und verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige, ehe er sich wieder mir zuwandte und sich verbeugte, indem er mich erneut aufforderte, in seine calèche zu steigen. Trotz der heftigen Backpfeife, die er sich eingehandelt hatte, stand der Junge kerzengerade da. Und ich fühlte mich eingekeilt zwischen den beiden Arabern: dem jüngeren, der mich mit unverhohlenem Hass anstarrte, und dem älteren, der mich aufdringlich beschwätzte.
Die Marokkanerin auf der Fähre hatte mir ihre Verachtung gezeigt, weil sie mich für eine Frau mit unmoralischem Lebenswandel hielt. Doch hatte die Verachtung des Mannes in Sale und dieses Jungen womöglich auch damit zu tun, dass sie mich für eine Französin hielten und somit eine Angehörige des Volkes, das in ihr Land eingedrungen war und sie unterworfen hatte?
Wieder schüttelte ich den Kopf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich brachte kein Wort über die Lippen. So schnell ich konnte, lief ich davon.
Drei Tage lang durchstreifte ich die Ville Nouvelle, doch wann immer ich mich nach den Duvergers erkundigte, erntete ich bloß fragende Blicke. Stundenlang ging ich durch die breiten Boulevards und warf immer wieder einen Blick durch die Tore der Villen mit ihren von Palmen und Orangenbäumen bewachsenen Gärten. Mein Bein und die Hüfte schmerzten von dem endlosen Gehen. In jedem Café fragte ich nach Etienne, ebenso wie in der Polyclinique du Sud, dem kleinen französischen Krankenhaus. Ich setzte mich auf eine Bank auf dem Hauptplatz und musterte jeden Europäer, der vorbeikam.
Ein paar Mal erblickte ich einen Mann, der von hinten Etienne ähnelte: breite Schultern, dunkles Haar, das über den Kragen ragte, zielstrebiger Schritt. Jedes Mal war ich einem Schwächeanfall nahe, riss mich jedoch zusammen und lief dem Mann nach, nur um festzustellen, dass es nicht Etienne war. Nur einmal war ich mir so sicher, dass ich den Mann am Ärmel berührte. Tatsächlich drehte er sich zu mir um und runzelte besorgt die Stirn.
» Ja, Madame?«, sagte er. » Kann ich Ihnen helfen?«
Meine Enttäuschung war so groß, dass ich nur den Kopf schüttelte und eine leise Entschuldigung murmelte, um mich dann rasch zu entfernen.
Meine Hoffnung, Etienne zu finden, und die damit verbundene Angst des Scheiterns wurden allmählich von einem dumpfen Gefühl der Verzweiflung verdrängt. Aber er musste doch hier in Marrakesch sein! Der Brief … ich hatte das gefaltete Papier so oft aus meiner Tasche hervorgeholt und wieder gelesen, dass es schmutzig und an den Faltlinien rissig geworden war.
Dasselbe Ergebnis zeitigte meine Suche nach Manon Duverger. Doch in ihrem Fall war sie noch aussichtsloser, wusste ich ja nicht einmal, wie sie aussah, außerdem konnte sie geheiratet und ihren Nachnamen geändert haben.
Während ich
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