Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
auch wenn der Gedanke in meinem Hinterkopf lauerte: dass Etienne zwar in Marrakesch war und mich sogar gesehen hatte, sich mir aber nicht zu erkennen gab, weil er, wie Madame Odette gesagt hatte, nicht gefunden werden wollte.
» Madame Odette«, sagte ich und verscheuchte diese Vorstellung wieder. » Was ist mit der Tochter der Duvergers? Ist sie ebenfalls von hier weggezogen?«
Madame Odette runzelte die Stirn. » Tochter?«
» Manon. Manon Duverger«, sagte ich, doch die alte Dame schüttelte den Kopf.
» Ich erinnere mich an keine Tochter.«
» Sie könnte inzwischen geheiratet haben.«
» Und sie heißt Marie?«
» Nein, Manon.«
Madame Odette nickte. » Ich kenne eine Manon Albermarle«, sagte sie. Wieder beugte ich mich erwartungsvoll vor. » Sie ist noch ziemlich jung. Ungefähr fünfundfünfzig. Etwa im Alter von meinem Sohn.«
Ich ließ enttäuscht die Schultern sinken. » Das kann sie nicht sein. Manon Duverger ist viel jünger. Ich bin mir sicher, dass sie hier, in der Ville Nouvelle, lebt.«
» Ich vergesse so viel«, sagte Madame Odette. » So viele Dinge.« Der kleine Hund gähnte, und als er die Schnauze wieder schloss, hörte man ihn mit den winzigen Zähnen klappern. » Ma chérie«, murmelte Madame Odette und streichelte den Hund etwas fester. » Ich erinnere mich nicht an diese Manon. Und Sie glauben, sie lebt in Marrakesch?«
» Jedenfalls noch bis vor wenigen Monaten.« Wieder rief ich mir den gefalteten Brief ins Gedächtnis, den ich die ganze Zeit über in meiner Handtasche mit mir herumtrug.
» Und wissen Sie auch bestimmt, dass sie in der Ville Nouvelle wohnt?«
» Ich … nehme es an. Sie ist schließlich Französin.«
» Es gibt verschiedene Arten von Französinnen in Marrakesch, Mademoiselle.«
Ich verstand nicht, worauf sie anspielte. Mit einem Mal wirkte Madame Odettes Miene kokett. » Vielleicht ist sie Araberin geworden und in die Medina gezogen, um unter den Mohren zu leben.« Sie sah mir ins Gesicht. » Es gibt solche Frauen, müssen Sie wissen. Es wäre nicht die erste Französin, die den Verlockungen eines Mannes erlegen ist und den Verstand verloren hat.«
» Sie meinen, sie könnte auch in der Medina leben? Ich weiß nicht, ob …« Ich unterbrach mich. Was wusste ich schon über Manon.
» Sie sollten es dort versuchen, bei den Marokkanern. Die Emigranten wohnen außerhalb der Stadtmauer. Doch die einheimische Bevölkerung von Marrakesch, ob Reich oder Arm, wohnt in der Altstadt. Sogar die Sultane und Adelige haben ihre schönen Häuser mitsamt den Harems und riads, den herrlichen Gärten, innerhalb der Mauern der Medina.
Innerhalb der Mauern der Medina. Der Djemma el Fna kam mir wieder in den Sinn. » Die Medina ist groß, Madame Odette. Wo sollte ich dort mit meiner Suche beginnen?«
» Ja. Groß ist sie schon, die Altstadt. Außerdem muss man sich durch die Souks kämpfen und sich in die kleinen Straßen vorwagen, die kreuz und quer verlaufen. Äußerst verwirrend diese engen, dunklen Gassen. Auf der Straßenseite sind die Häuser fensterlos. Die Araber halten nichts von einem auffallenden Äußeren. Die Männer verstecken ihre Reichtümer genauso wie ihre Frauen.« Sie atmete tief ein. » Orientieren Sie sich immer am Minarett von La Koutoubia, der › Moschee der Buchhändler‹. Früher haben die Buchhändler ihre Waren zu Füßen dieser Moschee ausgebreitet.«
Sie hörte mit dem Streicheln auf und versank in Schweigen, indem sie die Augen schloss, als hätten ihre Ausführungen sie erschöpft. Bei der Moschee handelte es sich um das eindrucksvolle rote Bauwerk, das ich am ersten Tag gesehen hatte, wie ich inzwischen wusste. » Aber sobald man La Koutoubia aus den Augen verliert, kann man sich leicht verirren. Wenn Sie sich einmal tief in die Medina hineingewagt haben, ist es unmöglich, wieder allein herauszufinden. Ich selbst habe mich auch einmal darin verlaufen.« Sie öffnete die Augen wieder. » Welcher Tag ist heute?«
Ich legte die Hand auf ihren Arm. » Dienstag, Madame Odette.«
» Ich war schon seit vielen Jahren nicht mehr in der Medina. Mein Sohn will nicht, dass ich ausgehe. Ich bin alt«, sagte sie zum wiederholten Male.
» Vielen Dank für Ihre Hilfe, Madame Odette.« Ich stand auf. » Sie waren sehr freundlich zu mir.«
Die Frau blickte zum Himmel. » Oh, aber Sie sollten sich jetzt nicht mehr in die Medina begeben, es ist zu spät dafür. Es ist keine gute Idee, nach Sonnenuntergang allein in der Medina herumzuspazieren.«
» Ja,
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