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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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schätze, ich bin einfach ein bisschen aus der Fassung. Jetzt wird mir klar, dass Bianca mich irgendwie … ausgefüllt hat.«
    Ein paar Minuten sitzen wir schweigend da. Marjory schnieft, und ich wünschte, ich könnte ihr etwas Hilfreiches oder Nützliches sagen. Ich weiß, was es heißt, sich verloren zu fühlen. Zu sehen, wie die eigenen Träume sich in Sekundenbruchteilen auflösen. Wie sich die Dinge völlig anders entwickeln, als man es sich vorgestellt hat. Warum fällt mir nichts ein? Ich sehe mich im Lillian’s um. Rilla spült in der Küche; ich kann das Planschen hören und das Klirren der Teller, die im Seifenwasser gegeneinanderstoßen. Ich liebe dieses Geräusch, die Stille im vorderen Teil des Cafés, die Geschäftigkeit in der Küche. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich Gott für dieses Café dankbar bin. Dass ich mich dadurch nicht mehr ganz so verloren fühle.
    »Es wird alles gut. Es wird gut«, sage ich noch einmal voller Überzeugung. Ich möchte noch mehr sagen, doch ich weiß nicht, wie. Ich hoffe, dass ich sie zumindest ein bisschen getröstet habe. Sie lächelt mich schwach an.
    »Möchtest du eine Tasse Tee? Kamille? Oder vielleicht einen Cappuccino?«
    Sie nickt. »Eine Tasse Tee wäre großartig.«
    Wir lächeln uns an, unsere Blicke begegnen sich. Sie streckt die Hand nach meiner aus und tätschelt sie. Wir sehen nahezu gleichzeitig auf den Tisch hinunter – ihre goldbraune, manikürte Hand liegt auf meinen blassen, feuchten Fingern mit den kurzen, vom Mandelmehl gefärbten Nägeln.
    »Danke, Grace.«
    »Kein Problem«, antworte ich leise.
    Ich stehe auf und suche eine Tasse samt Untertasse heraus.
    Wir scheinen ein paar Stammkundinnen gewonnen zu haben, die jetzt regelmäßig das Lillian’s für ihren Morgenkaffee oder ihren nachmittäglichen Zuckerschub wählen. Jede hat andere schrullige Angewohnheiten, die ich mir alle zu merken versuche. Manche lerne ich auf die harte Tour, ich mache Fehler, verstehe vieles falsch. Gelegentlich ändert eine Kundin ihre Bestellung von jetzt auf gleich. Andere Kunden teilen mir ihre Vorlieben sofort beim ersten Besuch mit, kommen direkt zur Sache, nehmen kein Blatt vor den Mund. Gigi gehört in diese Kategorie und bestellt ihren Kaffee, als hätte sie nie etwas anderes getan.
    Sie trägt eine schwarze Hose und eine weiße Bluse, die unverkennbare Croupiersuniform, jedoch ohne Weste. Die Kasinos erlauben es nicht, sie mit nach Hause zu nehmen. Sie kann nicht viel älter als neunzehn oder zwanzig sein, obwohl ich es schwierig finde, das Alter der Chinesinnen zu schätzen. Ihre Haut ist immer so straff und sahnig, dass es mir schwerfällt, nicht neidisch zu werden. Ihr Pferdeschwanz sitzt hoch und stramm, und eine dunkle Strähne fällt ihr in die Stirn. Ich stelle sie mir hinter dem Spieltisch vor, missmutig und gelangweilt. Sie streicht die Strähne zur Seite und wirft mir einen seltsam neugierigen und gleichzeitig wütenden Blick zu. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor.
    »Hallo, ich hätte gerne einen Cappuccino. Mit Schokolade obendrauf«, sagt sie sehr schnell, während ich sie anstarre und herauszufinden versuche, woher ich sie kenne.
    »Gern. Setzen Sie sich doch; ich bringe ihn Ihnen sofort. In dem Ständer links sind Zeitschriften, wenn Sie etwas lesen möchten.« Als ich darauf deute, dreht sie den Kopf und sieht in die Richtung, in die mein Finger zeigt.
    Als sie sich wieder zu mir umdreht, lächle ich sie an.
    »Danke«, antwortet sie knapp. Ohne zurückzulächeln.
    Sie tritt von einem Fuß auf den anderen, während sie an der Theke steht. Sie hält ihre Tasche beschützend vor ihren Bauch, als könnte sie ihr jeden Moment entrissen werden. Ich warte kurz ab, ob sie noch etwas sagen will.
    »Möchten Sie sonst noch etwas?«, frage ich schließlich.
    »Äh, welches ist das Beste?«
    »Wie bitte?«
    »Von … denen da.«
    »Oh, von denMacarons.« Ich gehe zu dem Brett, auf dem die runden Gebilde sorgfältig aufgereiht sind. »Nun, das kommt darauf an. Ich persönlich liebe die mit Karamell; andere ziehen ein weniger intensives Aroma vor, wie etwa Rose, zumindest für den Anfang. Die mit Schokolade sind natürlich auch wunderbar …« Ich gerate ins Schwärmen, stehe vor der unmöglichen Aufgabe, aus meinen Babys ein Lieblingskind auswählen zu müssen.
    »Und was ist das für eines?« Sie zeigt auf meine neueste Kreation, ein cremeweißes Macaron mit matten, gelben Punkten – wie Goldschimmer auf weißem Marmor.
    » Rêve d’un Ange .

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