Der Duft
einen sandfarbenen
Tarnanstrich. Marie beobachtete, wie ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Mann in Militäruniform ausstieg, während die Rotoren
allmählich zur Ruhe kamen. Er wurde von James Anderson und einem älteren Mann, den Marie noch nicht gesehen hatte, in Empfang
genommen und in das Botschaftsgebäude begleitet.
Sie machte sich rasch frisch und versuchte, ihr von der Nacht zerzaustes Haar einigermaßen unter Kontrolle zu bringen. Ihr
Gesicht sah immer noch zum Verzweifeln aus. Sie schalt sich selbst dafür, sich gerade jetzt um ihr Äußeres zu sorgen. Andererseits
war sie aufgeregt. Der Besucher musste ziemlich bedeutend sein, wenn er um diese frühe Stunde mit dem Helikopter landete.
Es dauerte nicht lange, und es klopfte an der Tür.
»Come in«, sagte Marie.
Anderson trat ein, gefolgt von Rafael. »Oh, ich sehe, Sie sind bereits angezogen. Das ist erfreulich. Jemand ist hier, der
Sie sprechen möchte. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Er führte Marie und Rafael in einen Konferenzraum, der deutlich komfortabler ausgestattet war als das Zimmer, in dem das Verhör
stattgefunden hatte. Der hochgewachsene Afroamerikaner aus dem Hubschrauber begrüßte sie auf Englisch. »Mein Name ist Lieutenant
Bob Harrisburg. Ich bin Psychologe beim INSCOM, dem Aufklärungs- und |321| Sicherheitsdienst der US Army.« Seine Stimme war tief und ruhig. Er reichte Marie seine große Hand, deren Druck angenehm war.
»Mr. Harrisburg, ich kann Ihnen versichern, wir sind nicht verrückt«, sagte Marie.
Harrisburg lächelte. »Nein, nein, deshalb bin ich nicht hier. Bitte setzen Sie sich doch.«
Marie und Rafael nahmen in den weich gepolsterten Ledersesseln Platz. Anderson goss allen Kaffee ein und setzte sich ebenfalls.
»Soll ich die Geschichte noch einmal erzählen?«, fragte Marie.
»Nein, das ist nicht nötig«, sagte Harrisburg. »Ich habe Mr. Andersons Protokoll gelesen. Das ist der Grund, weshalb ich hier
bin. Möglicherweise sind Sie der Schlüssel zu einem Rätsel, das mich schon eine ganze Weile beschäftigt.« Er erzählte ihnen
von einem Vorfall, bei dem vor Kurzem vier amerikanische Soldaten ein Blutbad unter irakischen Kindern angerichtet hatten.
»Halten Sie es für denkbar, dass dieser Vorfall durch das Pheromon ausgelöst wurde, von dem Sie Mr. Anderson erzählt haben?«
»Ja«, sagte Marie. »Das, was Sie beschrieben haben, klingt genauso.«
Harrisburg nickte. »Das habe ich befürchtet. Ich habe noch ein paar Fragen. Erstens: Sind Sie sicher, dass das Pheromon nicht
auf Frauen wirkt?«
»Ich kann das nur vermuten«, sagte Marie. »Bei mir hat es jedenfalls nicht angeschlagen, während alle Männer, die in dem Zelt
waren, durchgedreht sind.«
»Nach dem, was ich über Pheromone weiß, wirken sie oft nur auf ein Geschlecht«, ergänzte Rafael.
»Das stimmt«, sagte Harrisburg. »Allerdings haben wir es hier wohl mit etwas völlig Neuartigem zu tun. Die Pheromonforschung
steckt noch in den Anfängen, aber bisher |322| ist man davon ausgegangen, Pheromone würden im Bezug auf Menschen eine unbedeutende Rolle spielen. Das sogenannte Vomeronasale
Organ in der Nase, das vermutlich bei unseren Vorfahren für die Rezeption von Pheromonen verantwortlich war, ist bei vielen
Menschen verkümmert, und die meisten Wissenschaftler bezweifeln, dass es bei den übrigen noch irgendeine Funktion hat. Allerdings
können Pheromone auch über die normalen Riechorgane aufgenommen werden. Man weiß, dass sich die Menstruationszyklen von Frauen,
die in einer Wohngemeinschaft zusammenleben, mit der Zeit synchronisieren – dies ist wohl auf ein Pheromon zurückzuführen.
Auch in männlichem Schweiß sind Pheromone nachgewiesen worden, die bei Frauen die sexuelle Lust steigern können. Doch der
Wirkungsgrad ist sehr gering, und pheromonbasierte Parfüms, die im Internet angepriesen werden und angeblich Frauen zur Raserei
bringen sollen, sind blanker Unfug.«
»Soll das heißen, Sie glauben nicht, dass es sich um ein Pheromon handelt?«, fragte Rafael.
Harrisburg zögerte einen Moment, als müsse er sich die Antwort genau überlegen. »Das heißt es nicht. Solange wir den Duftstoff
nicht haben, können wir nicht sicher sagen, wie er wirkt, aber nach dem, was Frau Escher beschrieben hat, würde auch ich von
einem Pheromon ausgehen. Allerdings mit einer Wirkung, wie sie noch nie beobachtet wurde. Ich vermute, dass dieser Duftstoff
in der Natur nicht mehr vorkommt, oder
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