Der Duft
Gorillas folgten, würden sie mit ein bisschen Glück früher oder später |194| auf eine Touristengruppe stoßen, die von einem einheimischen Führer geleitet wurde. Es war eine echte Chance.
Wenn man einmal begriffen hatte, worauf man achten musste, hinterließen die Gorillas eine ziemlich deutliche Spur. Hin und
wieder trafen sie auf den Kot der Tiere – Haufen aus kugelförmigen schwarzen Gebilden, Pferdeäpfeln nicht unähnlich – sowie
auf Stellen mit platt gesessenem Gras und Büschen, an denen Äste abgebrochen waren oder Blätter fehlten.
Gegen Abend nahmen sie den intensiven Geruch der Menschenaffen wahr. Bald hörten sie auch die Grunzlaute und Rufe der Tiere.
Sie hatten sich offenbar etwas oberhalb von ihnen auf einer Wiese niedergelassen. Der Wind wehte den Berg herab und trug Geruch
und Geräusche mit sich.
»Lass uns noch etwas näher herangehen«, schlug Rafael vor.
»Warum? Wir wissen ja jetzt, wo die Gorillas sind. Wir können in ihrer Nähe übernachten und morgen versuchen, eine Touristengruppe
zu finden.«
»Ja. Aber findest du es nicht auch aufregend, diese Tiere aus der Nähe zu sehen? Es gibt nur noch ein paar Hundert von ihnen.
Vielleicht bekommen wir nie wieder so eine Chance!«
Marie hatte angesichts ihrer Situation nur wenig Verständnis für Rafaels Forscherdrang. Andererseits hatte er sich hier in
der Wildnis als kompetenter Führer erwiesen und ihr das Leben gerettet. Sie verkniff sich also eine bissige Erwiderung und
folgte ihm mit einem unguten Gefühl im Bauch.
Sie schlichen näher an die Gruppe heran, die jetzt nur noch durch ein paar Büsche vor ihren Blicken verborgen lag. Deutlich
hörten sie das zufriedene Grunzen der Erwachsenen, während sie weideten oder sich gegenseitig das |195| Fell pflegten, und die aufgeregten Laute der Jungen, die sich balgten.
Rafael kniete hinter einem Busch. Vorsichtig schob er die Blätter auseinander. Er wandte sich zu Marie um und bedeutete ihr
mit der Hand, näher zu kommen.
Sie blickte mit großen Augen durch die Lücke im Blattwerk. Unmittelbar vor ihr, höchstens drei Meter entfernt, kugelten zwei
Jungtiere eng umschlungen im hohen Gras. Sie rauften und warfen sich übereinander. Einmal hätte Marie schwören können, dass
einer der Affen den anderen am Bauch kitzelte. Es war eine Szene von solcher Unbekümmertheit und Fröhlichkeit, dass sie für
einen Moment ihre missliche Lage vergaß und breit lächelte.
Eines der Gorillakinder wandte zufällig den Kopf in ihre Richtung. Es verharrte für einen Moment, als sei es nicht sicher,
ob es etwas gesehen habe. Dann stieß es einen verängstigten Schrei aus und galoppierte auf allen vieren davon in Richtung
der Erwachsenen. Sein Spielkamerad folgte ihm.
Ein schreckliches Gebrüll ertönte, das dumpfe Trommeln von Gorillafäusten auf der Brust. Dann knackten Zweige und Äste, und
plötzlich schoss aus dem Gebüsch vor ihnen, nur ein Dutzend Meter entfernt, ein Silberrücken hervor. Seine Zähne waren gefletscht,
und seine Augen starrten sie zornig an.
Marie wollte aufspringen und weglaufen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Der riesige Gorilla rannte in vollem Schwung
auf sie zu. Sie war überzeugt, dass dies die letzten Bilder waren, die sie in ihrem Leben sehen würde.
Der Silberrücken stieß einen grausigen Schrei aus. Marie kauerte sich zusammen und hielt schützend die Hände über den Kopf.
Jeden Moment rechnete sie damit, dass die mächtigen Pranken ihr das Rückgrat brechen, sich die langen Eckzähne in ihren Hals
rammen würden.
|196| Doch nichts dergleichen geschah. Das Tier hatte kurz vor ihnen seinen Lauf gestoppt und hockte nun in Griffweite.
Marie wagte, vorsichtig Luft zu holen. Der Gorilla schnaubte verächtlich. Dann spürte Marie plötzlich etwas in ihrem Haar.
Er berührte sie! Nicht aggressiv, sondern sanft, tastend, neugierig.
Eine schwarze, ledrige Hand stupste gegen ihre Schulter.
Marie hob langsam den Kopf.
Der Gorilla zog seine Augenbrauen in einem so verblüffend menschlichen Ausdruck hoch, dass Marie beinahe gelacht hätte. Was
bist du denn für ein seltsames Ding, schien er sagen zu wollen. Und was fällt dir ein, unsere Kinder zu erschrecken?
Marie kroch auf allen vieren rückwärts davon. Rafael tat es ihr gleich.
Der Gorilla stieß noch einmal ein Grunzen aus, dann verschwand er im Gebüsch.
Marie und Rafael sahen sich an.
»Mein Gott!«, sagte Rafael. »Ich glaube, ich habe mir in die Hosen
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