Der Duft
wurden. Sie rauben uns
unser Öl und verpesten damit das Klima. Sie leben immer noch von den Reichtümern, die sie Afrika und Indien während der Kolonialzeit
gestohlen haben oder die von afrikanischen Sklaven geschaffen wurden. Sie schimpfen über die angebliche Unterdrückung der
Frauen im Iran und verschließen die Augen, wenn ›pro-westliche‹ Diktatoren in Afrika ihr eigenes Volk niedermetzeln. Meinen
Sie das mit ›unschuldig‹?«
Seine Augen blitzten, und für einen Moment überkam Marie das erschreckende Gefühl, dass er recht haben könnte – dass nicht
ihre Entführer, sondern Marie und Rafael auf irgendeine grauenhafte Weise im Unrecht waren.
»Ihr im Westen glaubt, ihr seid uns überlegen, weil ihr die bessere Technologie, die stärkere Wirtschaft habt«, fuhr er fort.
»Doch eure Wirtschaft basiert auf dem Handel mit Diebesgut, und euer technischer Fortschritt ist in Wirklichkeit ein Spiel
mit dem Feuer, das längst außer Kontrolle geraten ist. In eurer Gier und Überheblichkeit seid ihr drauf und dran, den ganzen
Planeten unbewohnbar zu machen! Und da sprechen Sie von Unschuld?«
»Das ist doch Blödsinn!«, sagte Rafael. »Sicher ist während |222| der Kolonialzeit viel Unrecht geschehen, aber das können Sie doch den heutigen Menschen in den westlichen Demokratien nicht
anlasten. Jedes Jahr werden Milliarden an Entwicklungshilfe nach Afrika und Asien geschickt, mit dem Ziel, die Wirtschaft
hier aufzubauen. Und wenn ich mich nicht irre, dann waren es die Araber, die in Zentralafrika Sklavenhandel betrieben, lange
bevor die Europäer kamen. Wie auch immer, kein Gesetz dieser Welt, auch nicht der Islam, gibt Ihnen das Recht, einen wehrlosen
Menschen zu töten!«
Ondomar verstummte. Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Nur ein leichtes Zucken der Augenwinkel verriet seinen Zorn. Marie warf
Rafael einen flehenden Blick zu. Sie spürte, wie gefährlich es war, diesen Mann zu provozieren.
»Was wissen Sie schon vom Islam!«, sagte Ondomar erstaunlich ruhig. »Aber Sie haben recht: Zivilisten zu töten ist nicht der
richtige Weg. Außerdem geht es hier nicht um Religion. Ich bin kein Fanatiker, und ganz sicher werde ich meine Religion nicht
missbrauchen, um junge Menschen in den Selbstmord zu treiben. Wir sind nicht die Barbaren, für die Sie uns halten. Wir kämpfen
mit den Mitteln des Guerillakrieges gegen die Unterdrückung unseres Volkes durch fremde Mächte. Das ist unser gutes Recht!«
»Wenn das so ist, dann lassen Sie uns gehen«, sagte Marie. »Wir haben mit diesem Kampf nichts zu tun!«
Ondomar schüttelte den Kopf, und sein Gesicht schien aufrichtiges Bedauern auszudrücken. »Es tut mir leid, aber eine Weile
werden Sie noch unsere Gäste bleiben müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich es mir nicht leisten, dass Sie meinen Freund
Andreas bei seiner Arbeit behindern. Er steht kurz vor einem wichtigen Durchbruch. Vor einem Durchbruch, der die Welt verändern
wird!«
Ein eisiger Schauer lief über Maries Rücken.
»Ich verspreche Ihnen, solange Sie nicht versuchen zu |223| fliehen, werden wir Ihnen kein Haar krümmen«, fuhr Ondomar fort. »Ich hoffe, wir können Sie spätestens in ein paar Wochen
freilassen. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Ihnen der Aufenthalt bis dahin so angenehm wie möglich gemacht wird. Gute
Nacht!« Damit ließ er sie allein.
»Meinst du …«, begann Rafael, doch Marie legte die Finger auf die Lippen. Sie deutete unter das Bett. Womöglich waren hier
Wanzen versteckt. Wenn Ondomar sie belauschte, konnte jedes falsche Wort ihr Todesurteil bedeuten.
Rafael nickte. »Meinst du wirklich, sie lassen uns irgendwann laufen?«, vollendete er seinen Satz.
Marie nickte ihm zu. »Keine Ahnung.« Sie hoffte, dass es natürlich klang. »Aber was sollen wir machen? Wir haben keine Chance,
von hier zu entkommen.«
»Du hast recht. Na ja, ich bin jedenfalls müde. Ich denke, wir sollten etwas schlafen.«
Marie nickte erneut. Sie nahm zur Kenntnis, dass er sich auf das andere Feldbett legte. Dabei hätte sie etwas Nähe und Wärme
jetzt gut gebrauchen können. Sie legte sich ebenfalls hin.
Am nächsten Morgen brachte ihnen ein Afrikaner ein Frühstück aus getrockneten Früchten und Fladenbrot. Nach den Strapazen
ihrer Entführung hatte Marie erstaunlich gut geschlafen.
Nachdem sie gegessen hatten, öffnete Marie die Zelttür einen Spalt weit und lugte hinaus. Einige Männer beluden einen LKW
mit länglichen
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