Der Duft
ziemlich absurd, aber sie nippte ebenfalls an ihrem Glas. Der Wein war
schwer und ölig auf ihrer Zunge, mit einem kräftigen, erdigen Aroma – ein erlesenes Getränk.
Ondomar setzte ein bedauerndes Lächeln auf. »Es tut mir leid, aber ich kann Sie noch nicht gehen lassen. Wie ich schon sagte,
kann ich es nicht zulassen, dass Sie meinen alten Freund Andreas Borg hinter Gitter bringen. Er ist ein hervorragender Wissenschaftler,
wissen Sie. Seine Arbeit ist von großer Bedeutung für unseren Kampf und für unser Volk. Aber greifen Sie doch bitte zu!« Er
häufte sich selbst duftenden Reis und Hühnchenfleisch in orangeroter Soße auf den Teller.
|230| Marie folgte seinem Beispiel. Das Essen schmeckte großartig.
»Ich bedaure, dass wir uns unter solchen für Sie unangenehmen Umständen kennenlernen müssen«, sagte Ondomar. »Aber wer weiß,
vielleicht verstehen Sie eines Tages auch meine Sicht der Dinge etwas besser. Ich kann nicht hoffen, dass Sie meine Ansichten
jemals teilen, aber zumindest sollte es mir gelingen, das Bild von den bösen arabischen Terroristen gerade zu rücken, das
Ihre Medien in schönem Einklang mit dem amerikanischen Geheimdienst malen.«
Marie vergaß ihre Vorsicht. »Wollen Sie etwa behaupten, Terrorismus sei etwas Gutes? Wollen Sie die Zerstörung des World Trade
Centers mit irgendeiner höheren Sache rechtfertigen? Ich weiß, dass den Völkern Afrikas und des Nahen Ostens in der Vergangenheit
Unrecht angetan wurde. Aber ein Unrecht rechtfertigt nicht ein anderes!«
Ondomar reagierte nicht etwa wütend, sondern verständnisvoll. »Sie haben recht. Der Angriff vom elften September war eine
stolze Tat, und stolze Taten sind meistens dumm. Statt Angst und Schrecken im Westen zu verbreiten, haben die Anschläge nur
unsere Feinde geeint und ihnen einen exzellenten Grund geliefert, unsere Völker noch schlimmer zu unterdrücken. Einen solchen
Fehler werde ich bestimmt nicht wiederholen.«
»Aber wenn Sie keine Terroranschläge verüben wollen, wozu brauchen Sie dann Borgs … Forschungsergebnisse?«
Ondomars Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. »Spielen Sie Schach?«
Marie nickte.
»Dann fordere ich Sie zu einer Partie nach dem Essen heraus. Wenn Sie mich schlagen, werde ich Ihnen noch ein bisschen mehr
erzählen. Sollte ich gewinnen, müssen Sie mir einen Wunsch erfüllen. Einverstanden?«
|231| Marie musterte ihn misstrauisch. »Einen Wunsch? Was für einen Wunsch?«
»Ich habe ein Geschenk für Sie. Wenn ich gewinne, müssen Sie es annehmen. Mehr nicht.«
»Einverstanden.«
Marie war eine exzellente Schachspielerin. Mit sechs Jahren hatte sie das Spiel von ihrem Vater gelernt. Mit elf hatte sie
ihn das erste Mal geschlagen. Natürlich hatte er sie auch vorher schon gelegentlich gewinnen lassen, um sie zu motivieren,
doch Marie hatte bald gemerkt, dass die Fehler, die er machte, absichtlich passierten. In der Schule hatte sie selbst unter
den Lehrern keinen Gegner gefunden, der ihr ebenbürtig gewesen wäre, und auf die Mitgliedschaft in einem Schachklub hatte
sie nie Lust gehabt. Also hatte sie gegen den Computer gespielt. Ihr erstes Schachprogramm, auf einem Commodore 64, hatte
sie selbst in der schwierigsten Stufe recht schnell schlagen können, und auch der Schachcomputer, den ihr Vater ihr zum 16.
Geburtstag geschenkt hatte, stellte bald keine große Herausforderung mehr dar. Doch mit der Weiterentwicklung der Computertechnik
waren die Maschinen rasch besser geworden. Sie war gerade neunzehn geworden, als ein IBM-Computer zum ersten Mal den amtierenden
Schachweltmeister besiegt hatte. Ein paar Jahre später war ein handelsübliches Schachprogramm auf einem ganz normalen PC selbst
Großmeistern gewachsen, und Marie gewann nur noch, wenn sie die Spielstärke zwei oder drei Stufen unter dem Maximum einstellte.
Seit sie bei Copeland arbeitete, kam sie allerdings nicht mehr so oft zum Spielen.
Sie aßen schweigend. Maries Laune besserte sich etwas. Sie waren zwar immer noch Gefangene, aber ihre Befürchtungen, man würde
sie umbringen, schienen sich nicht zu bestätigen. Natürlich konnte sie Ondomar nicht trauen, aber er war ein charmanter, aufmerksamer
Gastgeber, der |232| sie mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte. Außerdem, gestand sie sich zögernd ein, sah er auf eine exotische Weise sehr
gut aus. Seine gerade, leicht gewölbte Nase verlieh ihm einen aristokratischen Anstrich, und seine braunen Augen
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