Der Duft
wenn sie
im Lager blieb. Ihre einzige Chance war jetzt die Flucht.
Einer ihrer Bewacher stand mit gezogener Waffe dort und sah sich panisch um. Der andere war verschwunden – wahrscheinlich
war er unterwegs, um zu ergründen, was vorgefallen sein mochte. Marie trat aus dem Schatten und ging lächelnd auf den Mann
zu. »Rafael, wir müssen fliehen. Jetzt sofort!«, rief sie.
»Go in tent!«, rief ihr Bewacher. »Hurry! We are under attack! You must …« Weiter kam er nicht. Der niedrige Tisch aus dem
Zelt krachte auf seinen Schädel, und er sackte zusammen.
»Was ist los?«, fragte Rafael.
»Wir müssen hier weg! Schnell!« Marie rannte ins Zelt und griff sich hastig ein paar Wasserflaschen. Rafael beugte sich über
den bewusstlosen Mann und zog ihm die Pistole aus dem Gürtel. Dann rannten sie durch die Nacht.
Es war erstaunlich leicht, aus dem Lager zu entkommen. Es gab weder Zäune noch Wälle, und die Männer waren so mit dem vermeintlichen
Angriff beschäftigt, dass niemand daran dachte, sie aufzuhalten.
Schnell hatten sie die Zelte hinter sich gelassen. In der Ferne hörten sie hin und wieder das Krachen eines Schusses, |241| doch allmählich kehrte im Lager wieder Ruhe ein. Es würde nicht lange dauern, bis Ondomar und seine Leute die Situation im
Griff hatten und ihr Verschwinden bemerkten. Wenn sie erwischt wurden, würde es ihnen schlecht ergehen.
»Was ist denn passiert?«, fragte Rafael keuchend, während sie durch die Nacht rannten.
»Dieses Zeug … in dem Fläschchen …« Marie fiel es schwer, zu reden, während sie lief. »Es ist eine Art … Nervengas oder so
… es bringt Menschen zum Durchdrehen …« Sie stockte, als ihr plötzlich klar wurde, wo sie den seltsamen Geruch der Flüssigkeit
schon einmal wahrgenommen hatte.
»Was?«, stieß Rafael hervor. »Ich verstehe kein Wort!«
»Keine Zeit jetzt. Wir reden später.«
Sie liefen zwischen dornigem Gestrüpp und Bäumen hindurch, die in seltsam regelmäßigen Abständen wuchsen, fast wie in einer
Plantage.
Nach etwa einer Stunde hielten sie außer Atem an und ließen sich erschöpft zu Boden fallen. Sie mussten inzwischen einige
Kilometer vom Lager entfernt sein. Die Savanne war zum Glück so unübersichtlich, dass man sie auf weite Entfernungen nicht
sehen konnte, und im hohen Gras hinterließen sie kaum Spuren. Doch Marie machte sich keine Illusionen über ihre Überlebenschancen.
Die drei Wasserflaschen, die sie sich unter den Arm geklemmt hatten, waren alles, was sie an Proviant besaßen.
»Willst du mir jetzt endlich verraten, was passiert ist?«, fragte Rafael. »Was war in dem Fläschchen?«
»Ich weiß es auch nicht. Ondomar wollte … Er hat es entdeckt, und ich hab es ihm aus der Hand geschlagen. Dabei ist es zerbrochen,
und die Flüssigkeit ist ausgelaufen. Da war so ein merkwürdiger Geruch. Ich hab ihn sofort wiedererkannt, und jetzt weiß ich
es: Genauso roch es |242| damals im Teamraum bei Olfana, als Rico und Konstantin aufeinander losgegangen sind. Ondomar ist vollkommen durchgedreht.
Er hat geschrien, ein paar Leute sind reingekommen, dieser Kadin und noch zwei andere, und dann sind sie übereinander hergefallen!«
»Übereinander hergefallen? Wie meinst du das?«
»Sie haben blindwütig aufeinander eingeprügelt, als ob sie nicht bei Sinnen wären. Ich verstehe es auch nicht. Es war, als
ob sie ihren Verstand verloren hätten.«
»Jetzt wird mir langsam klar, wieso die hinter uns her waren«, sagte Rafael. »Was immer das für ein Zeug ist – stell dir mal
vor, was man damit anrichten kann, wenn man es in einer Menschenmenge versprüht!«
»Die … die ideale Waffe für Terroristen! Aber … wie kann es sein, dass ein Nervengas …«
»Ich glaube, das war kein Nervengas«, sagte Rafael.
»Was dann?«
»Möglicherweise ein Pheromon. Dr. Bergmann hat mir davon erzählt. Sie experimentieren damit bei Olfana.«
»Ein Pheromon? Du meinst, so eine Art Sexlockstoff?«
»Pheromone sind so etwas wie Duftsignale, die Tiere einsetzen, um miteinander zu kommunizieren. Sie dienen nicht nur als Lockmittel
für die Fortpflanzung, sondern zum Beispiel auch als Gefahrensignal. Bergmann meinte, dass Ameisen Pheromone zur Steuerung
der Brutpflege einsetzen und dass eine bestimmte Raupenart das ausnutzt und einen Duftstoff absondert, der Ameisen dazu bringt,
sie zu füttern. Die Pheromonforschung steckt wohl noch in den Kinderschuhen, aber Bergmann sagte, darin liege sehr großes
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