Der Duke, der mich verführte
viele wilde Tiere gesehen, dass er ihr kaum bedrohlicher erschien als ein Erdferkel, das sich an einen Ameisenhügel heranpirschte.
Schließlich stand Bradford auf. Er umrundete den Tisch, kam immer näher, eine hochgewachsene Gestalt, breitschultrig, in grauem Rock und passender Weste und allem Anschein nach die Ruhe in Person.
Justine umfasste ihre geblümte Tasse mit beiden Händen und brachte sie an die Lippen. Das hatte noch gefehlt, dass er merkte, wie ihr die Hände zitterten. Nachdem sie ihn wissentlich herausgefordert hatte, sollte man eigentlich meinen, dass sie für die Folgen besser gewappnet gewesen wäre. Weit gefehlt.
Unmittelbar vor ihrem Stuhl blieb er stehen, ragte baumhoch neben ihr auf.
Natürlich war ihr klar, dass es sein gutes Recht war, ihr beizuwohnen, war sie doch seine Frau, aber sie sah es einfach nicht ein, ihm dieses Recht zu gewähren. Er sollte sich sein Recht erst mal verdienen – genauso wie sie seinen Respekt verdient hätte. Respekt ging vor, dann konnte man Rechte geltend machen.
„Jetzt frag mich schon, was ich von dir will“, sagte er betont ruhig. „Frag mich, warum ich so geduldig hier stehe und darauf warte, dass mein wertes Weib mir seine Aufmerksamkeit schenkt.“
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie einen schrecklichen Moment lang darüber nachdachte, ob er sich wohl erdreisten würde, seine ehelichen Rechte am Frühstückstisch wahrzunehmen. Mit zitternden Händen setzte sie ihre Tasse ab, die verräterisch klappernd gegen den Unterteller schlug, wandte sich um und sah ihn an. Sie bemühte sich um Gleichmut, was nicht gerade leicht war.
„Na schön“, sagte sie herablassend. „Was ist es, das du willst? Warum glaubst du, dich so unnötig dicht an mich heranstellen zu müssen?“
Worauf er noch näher trat und sich über sie beugte, sie geradezu bedrängte.
„Da mein Versuch, dich, die werte Duchess, auf zivilisierte Weise zu hofieren, bei dir auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, habe ich beschlossen, dir ein weniger zivilisiertes Angebot zu unterbreiten, zu dem wir nicht einmal das Haus verlassen müssen. Such dir aus, was eher nach deinem Geschmack ist. Entweder die Oper oder der Verlust deiner Unschuld am Frühstückstisch. Du hast genau eine Minute, dich für eines von beidem zu entscheiden, sonst werde ich die Entscheidung für dich treffen.“
Himmelherrgott, das konnte ja wohl nicht wahr sein!
Pikiert deutete sie auf seine Hose, die sich just auf Augenhöhe befand, und wandte sich ab. „Schon gut, schon gut. Ich gehe in die Oper. Und rück mir vom Leib! Herrje. Du solltest wirklich lernen, dich etwas besser zu beherrschen. Dein Verhalten ist nicht hinnehmbar.“
Still vergnügt lachend, als hätte er sich selten so amüsiert, kehrte er auf seine Seite des Tisches zurück. „Genau das war meine Absicht. Ich wusste nicht, wie ich dich anders hätte umstimmen können. Wir brechen um sechs auf. Zieh dir was Hübsches an, hörst du? Etwas, das deine Brüste gut zur Geltung bringt. Und vergiss nicht, sie zu pudern. Ich habe ein Faible für gepuderte Brüste.“ Er machte Anstalten, sich wieder zu setzen, hielt inne, zögerte, überlegte es sich anders, wandte sich brüsk um und verließ den Raum.
Justine lehnte sich zurück und fächelte sich mit der Hand Luft ins erhitzte Gesicht. Es war schändlich, doch sie wusste wahrlich nicht, wie lange sie ihm noch widerstehen könnte. Die Dame in ihr – die Duchess – wollte ihm zwar am liebsten eins auf die Nase geben, weil er ihr einfach nicht den gehörigen Respekt zollte, aber das wilde Tier hatte längst die Krallen ausgefahren, bereit, ihn ins Bett zu zerren und über ihn herzufallen.
Justine zog den Kaschmirschal fester um ihr grünseidenes Abendkleid, das Bradford nicht einmal mit einer Bemerkung bedacht hatte, und sah sich unwohl um. Jeder, aber wirklich jeder, an dem sie während der letzten paar Minuten vorbeigekommen waren, schien innezuhalten und sie beide anzustarren. Vor allem ihn.
Es war grausam. Es war das erste Mal, dass Bradford sich nach jenem Vorkommnis in der Öffentlichkeit zeigte. Und alle starrten ihn an, als wäre er ein Aussätziger. Wussten sie denn gar nicht, was sich gehörte?
Obwohl es alles andere als schicklich war, griff sie nach Bradfords Arm, als sie das Opernhaus betraten, und schmiegte sich an ihn. Sie wusste selbst nicht, warum, aber sie wollte allen beweisen, dass sie zusammengehörten, dass trotz seines Aussehens und all ihrer Meinungsverschiedenheiten nichts
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