Der Dunkle Code
sogenannte Feinde Deutschlands, sondern auch zahllose Menschenleben im eigenen Land zerstört und darüber hinaus für viele Jahrzehnte die Zukunft des ganzen Volkes. Und dann hatte der niederträchtige Diktator auch noch Selbstmord begangen und nicht mehr zu Gesicht bekommen, welches Elend, welches Grauen und welche Kämpfe seinen Fußspuren entwuchsen.
Seinen Vater aber ehrte Dietrich über alle Maßen. Heinrich Gruber war Parteimitglied gewesen und hatte eine Zeit lang trotz des Krieges ein gutes Leben geführt, dennoch hatte er nicht an die Ideologie des Nationalsozialismus geglaubt, auch wenn er ihr seine Zeit und sein Gehirn zur Verfügung gestellt hatte. Der Vater hatte das Versteck des Schatzes arrangiert, um seiner Familie eine üppige Zukunft zu garantieren, hatte es aber nicht mehr geschafft, sein Vorhaben zu Ende zu bringen. Für Dietrich war das Versteck ein Geheimnis, das Vater und Sohn über die Stille des Grabes hinweg verband, und zugleich war es eine Art Rache an der Vergangenheit.
Die Vergangenheit, nach der Dietrich jetzt aber suchte, lag irgendwo zwischen Rom und der Nazizeit, im finsteren Mittelalter, über das nur lückenhafte Legenden existierten. In der Zeit zwischen Christi Geburt und dem Jahr 1000 war Raum für lange, barbarische Perioden, die von den Helden der Germanen und der Kelten beherrscht wurden. Die Legenden von König Arthur, Lancelot, dem Gral und dem Rheingold kannte Dietrich wie seine Westentasche.
Trotzdem schien ihm der entscheidende Hinweis auf das Versteck ständig zu entgleiten. Nach den ersten drei Buchstaben und dem Stichwort »Parzifal« kam er nicht weiter. Er bastelte noch eine Stunde mit Zahlen und Buchstaben, dann musste er einsehen, dass es hoffnungslos war.
War er doch auf der falschen Spur, wenn er davon ausging, dass es sich um einen einfachen Code handelte? In gewisser Weise wäre ein einfacher Zahlencode auch viel zu simpel, sein Vater hätte sich so etwas Einfaches nicht ausgedacht, sondern mit seiner glänzenden mathematischen Intelligenz ein wesentlich schwieriges System entwickelt. Oder bestand die große Cleverness des Vaters gerade in der Einfachheit?
Aaro saß am Computer und googelte sich durch das Thema Nationalsozialismus. Niko saß neben ihm. Er versuchte den Blick auf den Bildschirm zu versperren, denn die einheimischen Gäste der Wirtschaft blickten immer wieder unfreundlich zu ihnen herüber und kommentierten offensichtlich mit breitem bayerischem Dialekt die Anwesenheit der beiden ausländischen Jungen. Aaro kamen die rotgesichtigen Männer mit den tiefen Stimmen fast bedrohlich vor. War Bayern nicht schon immer die nazifreundlichste Region in Deutschland gewesen? Hatte Adolf Hitler nicht im Süden die meisten Anhänger gehabt?
»Komm, wir gehen«, murmelte Niko.
»Einen Moment noch. Die werden uns schon nicht fressen.«
Die Antwort schien Niko nicht zufriedenzustellen, er blickte wieder auf den rotgesichtigen Männerchor und schluckte hörbar.
Die Tatsache, dass es zu Heinrich Grubers Aufgaben gehört hatte, sich um die Goldbestände zu kümmern, ließ Aaro keine Ruhe. Das Gold war in den Alpen versteckt worden, in Grubers Heimatregion.
Je mehr Aaro über die Maßnahmen der Nazis in der Schlussphase des Krieges las, desto mehr interessierte er sich für die Gegend, in der Gruber wohnte. Ende April 1945 verschanzte sich Adolf Hitler mit seinem engsten Führungsstab in seinem Bunker in Berlin. Ein Teil seiner treuesten SS-Männer reiste in die Alpen, wo Waffen und Gold für die letzte Bastion hingeschafft wurden. Ob der Oberkassierer auch dabei gewesen war?
Aus dem Widerstand der Nazis wurde nichts, denn die Alliierten kesselten das Gebirge zur gleichen Zeit ein wie die Hauptstadt Berlin. Aber es gelang, eine bedeutsame Menge Gold, Geld, Kunst und Diamanten aus Berlin hinauszuschaffen.
»Trink, trink, Brüderlein, trink!«, stimmten die Rotnackigen plötzlich an. »Lass doch die Sorgen zu Haus.«
Alle Männer standen auf. Sie stießen mit den Bierkrügen an, dass die schäumende Flüssigkeit auf Tische und Boden spritzte. Aus dem Hinterzimmer kam ein dicker Mann in Lederhose herein, auf dessen kurzen Hals ein kahler, runder Kopf geschraubt war. Er lächelte und verneigte sich nach allen Seiten und platzierte dann seine wabbelige Fleischmasse am Kopfende eines Tisches. Flugs stellte der Wirt dem Mann einen gewaltigen Keramikkrug mit Zinndeckel hin. Die anderen nahmen unter allgemeinem Stühlerücken wieder Platz. Sie fingen an,
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