Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
mich doch nicht für blöd!«
Angelo verzog die Mundwinkel. »Ich verkaufe dich nicht für blöd. Und ja, kann sein, dass ich ein bisschen geflirtet habe, na und? Was ist denn schon dabei? Tust du das etwa nie? Das hat doch nichts mit uns zu tun! Schließlich bin ich nicht fremdgegangen, oder so. Maria …« Er streckte die Arme nach ihr aus.
Doch Maria wandte sich von ihm ab.
Angelo legte die Stirn in Falten. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine zickige Freundin, die ihm zusätzlich das Leben schwermachte. »Weißt du was?«, sagte er und seine Stimme hatte jegliche Wärme verloren. »Langsam reicht es mir. Erst dein Vater und jetzt du! Der Name Morelli ist noch lange kein Freifahrtschein für schlechtes Benehmen! Wenn du wieder zu Verstand gekommen bist, kannst du dich ja bei mir melden! Gute Nacht!« Er knallte die Tür hinter sich zu und Maria lauschte seinen energischen Schritten, die sich durch den Flur entfernten und sie allein zurückließen.
Erst jetzt fiel ihr ein, worüber sie eigentlich mit Angelo hatte reden wollen: Nicht Antonia war das Thema, das sie beschäftigte, sondern die Schrift auf dem Spiegel und das unheimliche Gesicht, das ihr erschienen war. Doch dafür war es nun zu spät. Dabei hatte sie Angelo eigentlich um Vorsicht bitten wollen. Denn vielleicht galt die Warnung ja ebenso ihm wie ihr? Und vielleicht befand er sich in großer Gefahr …
Kraft und Beharrlichkeit durch das Haus.
Motto der Schildkröte (tartuca)
15
Dienstag, 17. August 1880, einen Tag nach dem Palio
W as soll ich nur tun, Isabella?« Eva Maria lief in ihrem Schlafgemach unstet auf und ab, während ihr Dienstmädchen, das weit mehr als eine bloße Angestellte war, mit sorgenvoll gesenktem Haupt vor ihr stand und es kaum wagte, sie anzublicken.
Isabella war Eva Marias Vertraute und beinahe eine Freundin. Die beiden gleich alten Frauen waren mehr oder weniger zusammen aufgewachsen, da Isabellas Mutter Marta seit langer Zeit in den Diensten der Familie Morelli stand. Und seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr arbeitete Isabella für Eva Maria.
»Was soll ich nur tun? Ich kann ihn nirgends erreichen!«
Isabella schwieg. Sie wusste, was man sich in der Stadt erzählte, nachdem es gestern beim Palio zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Adlers und des Panthers gekommen war. Die ganze Stadt sprach über nichts anderes!
»Was hast du gehört? Los, sag es mir schon!«
»Ich habe Euch bereits alles gesagt, was ich weiß«, antwortete Isabella mit leiser Stimme.
»Dann sag es noch einmal!«, herrschte Eva Maria sie an.
Isabella zuckte zusammen.
»Verzeih mir«, bat Eva Maria um Entschuldigung und griff nach den Händen ihres Zimmermädchens. »Ich bin nur so schrecklich verzweifelt, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich tue.«
»Man erzählt sich, Lorenzo del Pianta habe Siena noch gestern Abend verlassen. Niemand weiß, wohin und wann er wiederkehren wird.« Isabella seufzte. Sie hatte das alles schon einmal berichtet, nachdem sie sich im Auftrag ihrer Herrin umgehört hatte. Denn natürlich schickte es sich für Signorina Morelli nicht, selbst herumzulaufen und Gerüchten nachzuspüren. »Genesio befindet sich noch in ärztlicher Behandlung«, fuhr Isabella widerstrebend fort. »Man hat ihn ganz schön zugerichtet, heißt es. Und immer noch liefern sich Anhänger von aquila und pantera auf den Straßen handfeste Auseinandersetzungen, wo immer sie einander begegnen. pantera behauptet, aquila habe ihr Pferd vergiftet und deswegen sei es bei dem Rennen zusammengebrochen …«
»Was für ein Hirngespinst!«, platzte Eva Maria hervor. »Wer sollte denn so etwas Grausames tun?«
Isabella schwieg. Sie hatte auch Gerüchte darüber gehört, wer für den Anschlag verantwortlich sein sollte. Aber das wollte sie ihrer Herrin nun wahrhaftig nicht weitergeben. Also sagte sie nur: » Aquila behauptet, das Pferd sei krank gewesen und hätte gar nicht geritten werden dürfen. Pantera hätte seine Teilnahme am Palio absagen müssen. Tatsache ist wohl, dass Luna bereits zwei Tage vor dem Palio an schweren Durchfällen litt.«
»Wusste Lorenzo davon?«
Isabella nickte. »Natürlich.«
Eva Maria erinnerte sich, wie Lorenzo am gestrigen Tage kurz vor dem Rennen mehrmals sorgenvoll den Hals seiner Stute gestreichelt hatte, und gab Isabella im Stillen recht: Ja, er hatte gewusst, dass Luna in keiner guten Verfassung war. Aber das Reglement sah nun einmal vor, dass selbst ein
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