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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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Schulter. Giorgio auf Fairway, der Jockey des Turms, folgte ihm mit einer guten Pferdelänge Abstand.
    Santo stieß Mirtillo die Fersen in die Flanken und schlug mit der Reitgerte auf die Kruppe des Rappen ein. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Ziellinie und als der Böllerschuss das Ende des Rennens verkündete, konnte er sein Glück kaum fassen. Es war sein erster Palio. Und er hatte ihn gewonnen! Gewonnen!
    Von überallher stürzten die Anhänger des Stachelschweins auf ihn ein.
    »Istrice! Istrice!«, hallte es über die Piazza. Die Männer hoben Santo vom Rücken des Pferdes und trugen ihn auf ihren Händen zur Tribüne, auf der das Banner für den Sieger bereitstand.
    »Daccelo!«, riefen sie. »Daccelo!« Gebt ihn uns!, forderten sie und meinten den Palio.
    Die Zuschauer stürmten die Rennstrecke und die Bahn füllte sich zusehends mit Menschen, die einander vor Freude oder Trauer weinend in die Arme fielen. Wie in einem Ameisenhaufen rannten die Menschen hin und her, an einigen Stellen kochten die Gefühle über und junge Männer gingen mit Fäusten aufeinander los, während die Anhänger des Stachelschweins unter den Klängen des suono di vittoria, dem Trommelwirbel, der nur nach dem Palio-Sieg ausgeführt wird, bereits ihren Siegeszug zur Kirche antraten.
    Maria ließ all diese Eindrücke unbeteiligt an sich vorüberziehen. Immer noch stand sie regungslos an ihrem Platz und schaute suchend über die Menschenmassen. Wo war Angelo? Warum war er nicht ins Ziel gekommen? Was war geschehen? Noch einmal hallten die entsetzten Aufschreie am anderen Ende des Platzes in ihr nach, die sie zwar gehört hatte, deren Ursache sie aber nicht hatte sehen können. Hatten sie etwa Angelo gegolten? Ihr Herzschlag geriet aus dem Takt, während sie diese Möglichkeit in Erwägung zog.
    Wie eine Schlafwandlerin bewegte sie sich schließlich durch den Menschenstrom, der ihr entgegenkam. Sie wurde angerempelt und gestoßen und musste immer wieder zurückweichen, aber sie nahm nichts davon wirklich wahr. Nur ein einziger Gedanke beschäftigte sie: Wo war Angelo?
    Endlich hatte sie die entfernteste Stelle der Rennbahn erreicht. Wie angewurzelt blieb sie stehen, als sie die Sanitäter sah, die sich um einen am Boden liegenden fantino versammelt hatten. Sein rot-grüner zucchino, der in den Farben der Contrade bemalte Helm, lag neben ihm. Die Rettungskräfte beugten sich über den bewegungslosen Körper und führten mit hastigen Bewegungen Erste-Hilfe-Maßnahmen durch: Sie legten dem Bewusstlosen einen Zugang und einer von ihnen hielt den Infusionsbeutel hoch. Auf ein Zeichen hin hoben sie den Verletzten mit vereinten Kräften auf eine bereitstehende Bahre und trugen ihn mit eiligen Schritten von der Bahn.
    Maria schaute auf den schwarzen Haarschopf des Verletzten. War das Dunkle, das sie dort sehen konnte, etwa … Blut? Dann fiel ihr Blick auf die rechte Hand des Reiters, die leblos von der Bahre hing und an deren Ringfinger ein Ring saß, der ihr nur allzu bekannt vorkam. Er war auffallend breit aus Weiß- und Gelbgold mit einem hervorgehobenen, abstrakten Muster. Unwillkürlich tastete sie nach dem Ring, den sie selbst an ihrem rechten Ringfinger trug, als müsste sie sich vergewissern, dass es tatsächlich der gleiche war. Ihr Verstand weigerte sich zu glauben, was ihr Herz längst wusste.
    »Angelo!«, brach es schließlich aus ihr heraus, als wäre sie aus einem Traum erwacht. »Angelo!« Und sie rannte los, den Rettungskräften hinterher, die den regungslosen Körper bereits in einen bereitstehenden Krankenwagen geschoben hatten und in diesem Moment die Türen schlossen.

 
    Geh und komm als Sieger wieder.
    Segnungsspruch der Pferde
     

     
    Epilog
     
    Samstag, 28. August 1880, und Dienstag, 28. August, zwölf Tage nach dem Palio
     
    E va Maria schaute mit starrem Blick aus dem Fenster ihres Schlafgemachs und reagierte nicht einmal, als Isabella sie ansprach. Ihre Wangen waren eingefallen, ihre Gesichtshaut aschgrau. Auch als in diesem Moment jemand an die Tür zu ihrem Zimmer klopfte und, ohne eine Aufforderung abzuwarten, eintrat, wandte sie nicht einmal den Kopf.
    Signore Morelli winkte Isabella hinaus, besann sich dann jedoch und hielt sie am Ärmel zurück, als sie an ihm vorbei durch die Tür schlüpfen wollte.
    »Wie geht es ihr?«, wollte er wissen und deutete mit einer Kopfbewegung auf seine Tochter, die unverändert am Fenster saß und ihm den Rücken zuwandte.
    »Schlecht, Herr, es geht ihr schlecht«,

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