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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Laboratorium in die Luft sprengen würde daran überhaupt nichts ändern, und es kam mir ziemlich kindisch vor. Aber da ich unterdessen meinen Carruthers kannte, behielt ich meine Einwände für mich. Zudem fühlte ich mich auch nicht in der Stimmung, zu argumentieren.
    Carruthers hatte unterdessen die Bandage kunstgerecht angelegt und gab mir die Rolle, damit er sie abschneiden konnte. Meine linke Hand ist nicht besonders geschickt. Ich ließ die Rolle fallen. Plötzlich stieß Carruthers einen Freudenschrei aus und war im nächsten Moment auf den Knien und entrollte sie weiter. Ich sah sogleich, was er entdeckt hatte. Als die Rolle sich beim Fallen aufgerollt hatte, waren Papierstreifen herausgefallen, die alle mit einer winzigen Schrift bedeckt waren.
    Carruthers sammelte sie alle ein. Dann stand er auf. Seine Augen glänzten. »Wir haben sie«, jubelte er, und seine Stimme überschlug sich. Aufgeregt schwenkte er die Zettel vor meinem Gesicht hin und her. »Die zweite Kopie des Kassenschen Herstellungsprozesses!«
    Ich nahm die Papiere und sah sie flüchtig durch. Er hatte recht. Die Ähnlichkeit der Schrift auf diesen Zetteln mit der auf den Zetteln im Safe der Gräfin war unverkennbar. Im nächsten Moment hatte mich Carruthers um die Schulter gefaßt und tanzte mit mir durch das Laboratorium. Jedoch die Ausgelassenheit dauerte nicht lange. Jemand hustete, und eine nüchterne Stimme sagte in perfektem Englisch:
    »Sehr lustig, aber ich muß Sie leider bitten, die Hände hochzunehmen.«
    Ein kleiner Mann mit einem riesigen Kopf stand unter der Tür und betrachtete uns mit einem schwachen, bitteren Lächeln. Hinter ihm, eine schwere deutsche Pistole in der Hand, stand Marassin. Neben ihm der Offizier mit den rosa Augen und ein weiterer Mann in Uniform. Dahinter standen noch andere.
    Wir blieben stehen und sagten nichts. Mir, jedenfalls, hatte es die Sprache verschlagen. Der kleine Mann trat in die Mitte des Raumes und verbeugte sich vor Carruthers.
    »Professor Barstow, wenn ich mich nicht irre. Mein Name ist Kassen. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört.«
    »Wer hätte das nicht?« sagte Carruthers ölig.
    Kassen nahm das Kompliment mit einer leichten Verbeugung zur Kenntnis. Mir gönnte er keinen Blick, sondern schaute sich im Raum um. Ich beobachtete ihn genau, aber auf seinem Gesicht zeigte sich keine Regung, als er auf den Haufen verbranntes Papier schaute.
    »Ich hoffe«, sagte er gleichgültig, ohne den Kopf zu drehen, »daß sich Ihr Besuch gelohnt hat, Professor.« Sein Blick fiel auf die Verbandsrolle. »Oh ja, ich sehe, daß er sich gelohnt hat.« Er hob die Zettel, die Carruthers hatte fallen lassen, sorgfältig auf, steckte sie in die Tasche und verschwand damit durch die Tür ins Hochspannungslaboratorium. Wir waren allein, Auge in Auge mit Marassin. Der Oberst hatte bisher keinen Ton gesagt, aber es wurde mir fast schlecht, als ich ihn jetzt anschaute. Hätte nicht ein Muskel seines Kinns ohne Unterlaß gezuckt, hätte man nicht bemerkt, daß er am Leben war. Sein ganzes Wesen strahlte Tod aus, und ich fand ihn unerträglich abstoßend. Plötzlich rief Kassen etwas, und einer der Offiziere, der eine Taschenlampe trug, ging aus dem Raum. Kurz darauf kam Kassen herein. Seine Augen funkelten. Er sagte etwas zu Marassin und ging dann zu Carruthers und schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Carruthers verzog keine Miene.
    Kassens Stimme zitterte vor Wut: »Nicht genug damit, daß Sie meine Aufzeichnungen zerstört haben, Sie haben auch meinen Assistenten zu Tode gefoltert.«
    »Nein, Monsieur«, entgegnete Carruthers ruhig, »das war die Tat eines anderen.«
    Kassen trat mit ungläubigem Gesicht zurück.
    Er sah sehr böse aus, und ich hoffte, daß Beker bald wiederkommen würde. Meine Augen wanderten unwillkürlich zum Fenster. Es waren keine Geräusche mehr zu vernehmen, und ich nahm an, daß die Nihilisten abgezogen waren. Kassen mußte meine Gedanken erraten haben, denn er lachte kurz auf.
    »Wenn Sie gehofft haben, daß der Dritte im Bunde Ihnen zu Hilfe kommen wird, so haben Sie sich geirrt. Wir haben das Glück gehabt, ihn auf der Straße zu erwischen.« Er wandte sich zu Marassin. »Lassen Sie ihn hereinbringen.«
    Marassin bellte einen Befehl über die Schulter, und draußen war ein schlurfendes Geräusch zu hören. Ich hatte nun keine Hoffnung mehr. Wenn sie Beker geschnappt hatten, dann waren wir so gut wie tot. Zwei Soldaten traten jetzt herein und schleiften zwischen sich den

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