Der dunkle Highlander
genug war, um zu verstehen, was der Tod war.
O Zanders, du darfst das Vielleicht-Spiel nicht spielen. Du weißt, was du dir damit antust.
Sie hatte keine Ahnung, wie viele Tage sie sich in ihrem winzigen Apartment verkrochen und sich vollkommen von der Welt zurückgezogen hatte. Sie ging nicht ans Telefon, sah weder ihre E-Mails noch die Post durch und verließ das Bett so gut wie nie. Sie verbrachte ihre Zeit damit, sich noch einmal all die kostbaren Momente mit Dageus in Erinnerung zu rufen.
Sie hatte einen so unfassbar schönen Monat erlebt, den Mann ihrer Träume kennen gelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Sie hatte alles gehabt, was sie sich jemals gewünscht hatte. Und jetzt war ihr rein gar nichts mehr geblieben.
Wie sollte sie ohne ihn leben? Wie sollte sie sich wieder in der Welt zurechtfinden? Sich anziehen, die Haare bürsten, auf die Straße gehen und all die Liebespaare sehen, die miteinander redeten und lachten?
Die Tage krochen in einem trüben Nebel dahin. Bis sie eines Morgens aufwachte und plötzlich den drängenden Wunsch spürte, die Kunstgegenstände, die Dageus ihr geschenkt hatte, in ihre Wohnung zu holen. Sie wollte den skean dhu in Händen halten und ihre Finger um den Griff schließen, den Dageus auch berührt hatte.
Das bedeutete, dass sie ihr Apartment verlassen musste. Sie überlegte, ob es eine andere Möglichkeit gab, die Sachen in ihre Wohnung zu bekommen; aber es gab keine. Nur sie allein hatte Zugang zu dem Schließfach der Bank.
Sie schleppte sich unter die Dusche, wusch sich irgendwie, trocknete sich irgendwie ab und stolperte zu dem Koffer, den sie immer noch nicht ausgepackt hatte. Sie zog verknitterte Klamotten heraus, die vielleicht zusammenpassten, vielleicht auch nicht - das war ihr vollkommen egal; die Hauptsache war, dass sie nicht nackt durch die Straßen lief und verhaftet wurde. Das hätte nämlich bedeutet, dass sie mit Menschen reden musste, und danach stand ihr nicht der Sinn. Sie nahm ein Taxi und fuhr zur Bank.
Dort holte sie die Sicherheitskassette aus dem Schließfach und wurde in einen kleinen Raum geführt. Lange stand sie da, starrte die Kassette an und versuchte, die nötige Energie aufzubringen, um ihre
Geldbörse aus der Handtasche zu holen. Schließlich kramte sie die Börse hervor, öffnete sie, nahm den Schlüssel heraus und schloss die längliche Metallkassette auf.
Sie öffnete den Deckel und erstarrte. Auf dem skean dhu, der Keltar-Brosche und dem kunstvoll gravierten Armband aus dem ersten Jahrhundert lag ein Kuvert, auf dem ihr Name stand. Es war die Handschrift von Dageus. Sie schloss die Augen, um nichts sehen zu müssen. Darauf war sie nicht vorbereitet. Beim Anblick dieser Handschrift hatte sie das Gefühl, als bräche ihr Herz ein zweites Mal.
Sie atmete einige Male tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Dann schlug sie die Augen auf und nahm den Umschlag mit zitternden Händen aus der Kassette. Was, um alles in der Welt, konnte er ihr vor so vielen Wochen geschrieben haben? Sie hatten sich erst fünf Tage gekannt, bevor sie nach Schottland geflogen waren.
Sie öffnete das Kuvert, nahm den zusammengefalteten Briefbogen heraus und las.
Chloe-Mädchen,
wenn ich jetzt nicht bei dir bin, dann habe ich mein Leben verloren, denn sonst würde ich dich niemals allein lassen.
Sie zitterte am ganzen Leib und brauchte lange, bevor sie weiterlesen konnte.
Ich hoffe, ich habe dich ausreichend geliebt. Mir ist schon heute klar, dass du mein strahlender Stern bist. Ich wusste es in dem Moment, in dem ich dich zum ersten Mal sah.
Ja, Mädchen, du liebst deine Kunstgegenstände.
Aber den Dieb gelüstet es nur nach einem Schatz: nach dir.
Dageus
Sie kniff die Augen zu. Ein neuer Schmerz begann in ihrem Herzen zu brennen. Sie hatte einen Kloß im Hals, und heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Aber sie weinte nicht. Sie hatte aus guten Gründen noch keine einzige Träne vergossen, seit Dageus verschwunden war. Wenn sie weinte, würde sie sich nämlich ernsthaft eingestehen, dass er ein für alle Mal verloren war.
Im Umkehrschluss hieß das - auch wenn es nicht wirklich logisch war -, dass es noch Hoffnung gab, solange sie nicht weinte.
O Gott, sie sah ihn vor sich. Sie hatte das Bild vor Augen, wie sie damals gemeinsam in der Bank gewesen waren. Er war groß, dunkel und unbeschreiblich schön. Und sie war aufgeregt, entsetzlich nervös und unendlich von ihm fasziniert.
Dennoch hatte sie dem
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