Der dunkle Ritter (German Edition)
diente, und freute sich darauf, am Abend ein wenig von der Wolle zu verspinnen. Mit leichten Schritten stieg sie die Treppe hinauf. Auf dem obersten Absatz hatte sie plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war ein Gefühl, das ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Sie schaute in die ihren Zimmern entgegengesetzte Richtung und sah ein Bündel Sonnenstrahlen, das den dunklen Gang erhellte. Es fiel durch die offen stehende Tür von Garretts persönlichem Zimmer, der Ort, an dem er seine Nächte ohne sie verbracht hatte – wenn sie Glück gehabt hatte.
Seit Garrett fort war, war der Raum nur gelegentlich geöffnet worden, um ihn zu reinigen und zu lüften. Emmalyn hatte keinen Grund dafür gesehen, einen Fuß hineinzusetzen, und sie hatte ganz gewiss nicht das Verlangen, das jetzt zu tun – außer um herauszufinden, wer in diese Räume eingedrungen war.
Sie näherte sich vorsichtig der offenen Tür und überflog das Zimmer mit einem raschen Blick: die kleine Sammlung gebündelter Dokumente an der gegenüberliegenden Wand, der tief zurückliegende Kamin mit dem Abzug darüber und den ordentlich aufgeschichteten Holzscheiten, der gepolsterte Stuhl und der reich geschnitzte Schreibtisch, den ihr Mann so geschätzt hatte, die Papiere und Bücher, die akkurat geordnet darauf lagen … alles war genauso, wie Garrett es zurückgelassen hatte. Sogar sein Geruch schien haften geblieben zu sein, schwächer natürlich, aber dennoch wahrnehmbar genug, um Emmalyn einen kalten Schauder den Rücken hinunterzujagen.
Am Fenster, mit dem Rücken zur Tür, stand ein gut gekleideter schwarzhaariger Mann. Die Sonne schien hell herein und machte seine große Gestalt zu einer dunklen Silhouette, als er sich mit einer Schulter gegen die Steinlaibung des Fensters lehnte. In einem Augenblick wilder Panik hätte Emmalyn schwören können, dass dieser Mann Garrett war, der irgendwie zurückgekehrt und jetzt überlebensgroß war. Sie musste einen Laut von sich gegeben haben, denn der Mann wandte sich um, und sie sah sich Sir Cabal gegenüber. Zumindest nahm sie an, dass dieser gut aussehende Mann und der Ritter mit dem finsteren Gesicht ein und dieselbe Person waren. Seine Miene wurde kühl, als Emmalyn ihn stirnrunzelnd ansah.
»Was tut Ihr hier drinnen?«, verlangte sie zu wissen.
»Ich brauche private Zimmer, während ich auf Fallonmour bin«, erwiderte er, während er aus den Schatten und ganz in ihr Blickfeld trat. »Ich sah keinen Grund, die Zimmer des Burgherrn für mich in Anspruch zu nehmen. Ihr könnt dort bleiben, wenn Ihr wollt.«
»Wie außerordentlich großzügig von Euch, an mich zu denken, Mylord«, schoss Emmalyn zurück, aber ihre scharfe Antwort ließ die Gehässigkeit vermissen, die sie hatte durchklingen lassen wollen. Sie konnte ihn nur anstarren, verwirrt über die Veränderung, die mit dem garstigen Ritter, den sie in der Wanne hatte sitzen lassen, vor sich gegangen war.
Sir Cabal war jetzt frisch rasiert, sein kohleschwarzes Haar war noch feucht vom Waschen. Die üppigen Wellen hatte er aus seinem markant geschnittenen Gesicht zurückgestrichen. Sie glänzten wie das Gefieder eines Raben und fielen ihm bis über die Schultern. Der Bart, den er getragen hatte, hatte sein kantiges Kinn bisher verborgen, bemerkte Emmalyn jetzt, ebenso wie den feinen Schwung seines Mundes. Und wenn sie seine grauen Augen bereits auf den ersten Blick für bemerkenswert gehalten hatte, so waren sie jetzt absolut faszinierend, denn die raue männliche Schönheit seines bartlosen Gesichts machte sie lebhafter.
Obwohl er nicht mehr den wild aussehenden Krieger vorstellte, der vor Kurzem auf ihren Burghof geritten war, empfand Emmalyn in seiner Gegenwart noch immer ein merkwürdiges Prickeln, das zur Vorsicht mahnte und jetzt vielleicht noch stärker geworden war, als sie ihn so vor sich sah – jeder Zoll ein echter Lord.
Sein zerschlissener, blutbefleckter Waffenrock war durch eine Tunika aus Seide in der Farbe von getrocknetem Rosmarin ersetzt worden, die eng um seine breiten Schultern und muskulösen Arme saß. Der Stoff spannte sich über seinem Brustkorb, obwohl die Bänder des Ausschnitts nicht geschnürt waren. Dazu passende Hosen umhüllten seine Oberschenkel und verschwanden in Stiefeln aus dunklem Leder.
Emmalyn musste sich zusammenreißen, um ihn nicht länger anzustarren. »Ihr tragt die Kleider meines Mannes«, war alles, was sie herausbrachte.
Eine schwarze Braue hob sich auf seiner breiten Stirn,
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