Der dunkle Ritter (German Edition)
in einer noch schlechteren Verfassung.«
Cabal betrachtete sie zweifelnd. »Woher wisst Ihr, dass er sich diese Verletzungen nicht beim Stehlen zugezogen hat? Könnt Ihr so sicher sein, dass sie ihm nicht beigebracht wurden, als sich jemand bei einem Überfall gegen ihn zur Wehr gesetzt hat? Vielleicht sogar bei dem Überfall, der heute auf den alten Müller verübt wurde?«
Emmalyn schüttelte den Kopf. »Er ist nur ein scheuer, vernachlässigter kleiner Junge, kein Ungeheuer, wie Ihr mich glauben machen wollt. Und ich werde Euch keinen Moment länger zuhören, wenn ich doch stattdessen versuchen sollte, ihn zu finden und dorthin zu bringen, wo ich ihn vor weiterem Schaden geschützt weiß.«
»Lasst ihn bei seinen eigenen Leuten, Mylady. Dort gehört er hin. Lockt ihn nicht mit Versprechungen auf ein besseres Leben, das er niemals haben kann.«
»Wie könnt Ihr das sagen? Wie könnt Ihr denn wissen, was das Beste für dieses Kind ist?«
»Ich weiß es, weil ich –« Er verstummte plötzlich, als hätte sein Zorn den Rest von dem verschlungen, was er hatte sagen wollen. Erst tiefes Durchatmen schien ihn so weit zu beruhigen, dass er Emmalyn wieder ansehen und weitersprechen konnte. »Ich weiß es, weil ich solcher Art Menschen schon begegnet bin. Hätte er die Gelegenheit, ich wette, dass der Junge und jeder seines Schlages Euch eher Eure hübsche Kehle durchschneiden würde, als Euch für Euren noblen Edelmut dankbar zu sein.«
Cabals graue Augen schimmerten in der sich herabsenkenden Dämmerung stahlhart; kein bisschen Mitleid oder Verständnis milderte den eisigen Blick, mit dem er Emmalyn betrachtete. Das schwache Licht einer Laterne, die an der Außenwand des Stalles hing, fiel auf sein Gesicht und ließ seine markanten Züge noch kantiger und strenger wirken. Vielleicht war es das schwindende Licht, das Emmalyn jetzt so deutlich erkennen ließ, was Cabal war: ein finsterer, mitleidloser Krieger. Ein Mann von rascher Gewalt, mit einem Herzen, das schwarz vor Grausamkeit war, und absolut unfähig, Mitgefühl zu empfinden. Er war gar nicht so viel anders als Garrett.
Nein, dachte sie mit einem aufkeimenden scharfen Gefühl von Bedauern; er war ganz und gar nicht anders als Garrett.
»Ihr seid der Meinung, es war falsch von mir, das Lager der Diebe zu zerstören, nicht wahr, Mylady? Ihr haltet es für eine übersteigerte Vergeltung für ein wenig harmloses Stehlen. Oder glaubt Ihr vielleicht sogar, es sei ein Akt herzloser Barbarei gewesen?«
Emmalyn hatte keine Gelegenheit, ihm zu antworten. Cabal hatte sie an der Hand gepackt, und seine starken Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. Er zog sie mit sich, als er mit weit ausholenden entschlossenen Schritten über den Burghof ging. »Ich schätze es nicht, auf diese Weise behandelt zu werden«, protestierte Emmalyn durch zusammengebissene Zähne. Sie ängstigte sich, als er so grob mit ihr umging. »Wohin bringt Ihr mich?«
Offensichtlich war er nicht geneigt, es ihr zu sagen. Er nahm eine Laterne von ihrem eisernen Haken, als sie am Stall vorbeigingen, und mit der zittrigen Flamme, die ihnen den schwach beleuchteten Weg wies, ging er mit Emmalyn am Amboss des Schmieds vorbei zur Rüstkammer. Es war ein Nebengebäude, das benutzt wurde, um dort in Zeiten des Friedens die Schilde der Garnison und die schwereren Waffen zu verwahren. Irgendwie bezweifelte Emmalyn, dass Cabal vorhatte, ihr etwas zu zeigen, das friedlicher Natur war, wenn er sie mit solcher Entschlossenheit hierherführte.
Sie wollte erneut gegen die Behandlung protestieren, als sie sich der letzten Nische mit Waffen näherten und Cabal sie freigab. Emmalyn rieb sich das Handgelenk, wenn auch zugegebenermaßen eher in nervöser Erwartung als aus zugefügtem Schmerz, und beobachtete, wie er die Laterne auf einem Holzregal hinter ihnen abstellte. Ehe sie begriff, was er vorhatte, packte er sie an den Schultern, zog sie an sich und drehte sie herum, sodass sie ihm den Rücken zuwandte – und auf einen Berg von Helmen, Messern und Armbrüsten schaute.
»Seht hin«, herrschte er Emmalyn an, und sein heißer Atem strich über ihr Ohr. »Das haben wir im Lager gefunden. Sieht das für Euch so aus, als hätten diese Schurken sich noch lange damit zufrieden gegeben, ein wenig Hafer und ein paar Hühner zu stehlen?«
Emmalyn sank gegen seine feste Brust, ihr Zorn und ihre Angst machten sich in einem schweren, zerrissenen Seufzen Luft. Sie schüttelte den Kopf, als sie auf das Durcheinander
Weitere Kostenlose Bücher