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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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empfand. »Ich glaube nicht, dass Sie Ihren Freund zerstört haben. Mir scheint, Sie sind genauso sehr zerstört worden, ebenso ein Opfer. Nur tritt das bei Ihnen nicht so offen zutage. Aber wie dem auch sei – es gab keine andere Möglichkeit.«
    »Ich werde in die Hölle kommen.« Donna lächelte plötzlich, ein breites, jungenhaftes Lächeln. »Meine katholische Erziehung.«
    »In der Hölle verkaufen sie einem jetzt Klingelbeutel, und wenn man heimkommt, sind lauter Smarties drin.«
    »Ja, und die sind aus Truthahnscheiße«, sagte Donna und dann, ganz plötzlich, war sie verschwunden. Hatte sich zwischen den dahineilenden Menschen verflüchtigt. Er blinzelte. Ob Bob Arctor das Gleiche gefühlt hat wie ich jetzt?, dachte er. Bestimmt. Im einen Augenblick war sie noch da und schien so dauerhaft zu sein, als würde sie für alle Ewigkeit bleiben. Dann – nichts. Verschwunden wie Feuer oder Luft, ein Element der Erde, das in die Erde zurückkehrt, sich mit den Jedermann-Menschen vermischt, die es immer gab und immer geben wird. In ihrer Mitte ausgegossen. Das Mädchen, das verdunstet. Das sich nach Belieben wandelt. Das kommt und geht, ganz wie sie will. Und niemand, nichts, kann sie festhalten.
    Ich versuche, den Wind einzufangen, dachte er dann. Und das hatte auch Arctor versucht. Wie sinnlos es doch ist, einen Rauschgiftagenten der Regierung festhalten zu wollen. Sie sind substanzlos. Schatten, die mit dem Hintergrund verschmelzen, wenn es der Job von ihnen fordert. Als ob sie schon vorher gar nicht dagewesen wären. Arctor hat ein von den Behörden geschaffenes Trugbild geliebt, eine holografische Projektion, durch die ein gewöhnlicher Mensch hindurchgehen kann, um am Ende allein herauszukommen. Allein – und ohne auch nur für einen Augenblick ihr Innerstes berührt zu haben.
    Der Wille des Herrn, überlegte er, ist es, aus dem Bösen das Gute zu erschaffen. Und wenn Er hier aktiv ist, tut Er das jetzt, obwohl unsere Augen es nicht wahrnehmen können. Dieser Prozess spielt sich unter der Oberfläche der Wirklichkeit ab und kommt erst viel später zum Vorschein. Vielleicht für unsere Nachgeborenen, jene armseligen Wesen, die nichts von dem Kampf wissen werden, den wir durchgestanden haben, und nichts von den Verlusten, die wir hinnehmen mussten – außer sie finden vielleicht in einer Fußnote in einem unbedeutenden Buch einen Hinweis darauf. Irgendeine kurze Randnotiz, in der nicht einmal die Namen der Gefallenen aufgeführt sind.
    Irgendwo sollte man ein Denkmal mit den Namen all jener errichten, die in diesem Krieg gestorben sind. Und auch derer sollte gedacht werden, denen das noch schlimmere Schicksal zuteil geworden ist, nicht zu sterben. Die weiterleben mussten, über ihren Tod hinaus. Wie Bob Arctor. Der tragischste Fall überhaupt.
    Ich glaube, dass Donna ein Söldner ist. Jemand, der nicht auf der gewöhnlichen Gehaltsliste steht. Solche Söldner sind noch mehr als die anderen wie flüchtige Gespenster. Sie verschwinden für immer. Man fragt sich, wo ist sie, und die Antwort darauf lautet…
    Nirgendwo. Weil sie ohnehin nie dagewesen ist.
    Mike Westaway nahm wieder an dem Holztisch Platz, um seinen Hamburger aufzuessen und seine Coke auszutrinken. Denn das war besser als alles, was man ihnen im Neuen Pfad vorsetzte – selbst wenn der Hamburger aus Kuhfladen bestehen sollte.
    Donna zurückrufen, den Versuch unternehmen, sie zu finden oder sie zu besitzen… Ich suche das, was auch Bob Arctor gesucht hat – und darum ist er jetzt vielleicht sogar besser dran als vorher, trotz allem. Auch vorher war seine Existenz schon tragisch. Einen Geist lieben – das ist die eigentliche Tragödie. Die Hoffnungslosigkeit an sich. Ihr Name würde in keinem Buch auftauchen, nirgendwo in den Annalen der Menschheit – kein Wohnort, kein Name. Es gibt solche Mädchen und genau die liebst du am meisten – die, bei denen es keine Hoffnung gibt, weil sie sich dir in dem Moment, da du deine Hände um sie schließt, auch schon wieder entzogen haben.
    Also haben wir ihn vielleicht sogar vor einem noch schlimmeren Schicksal bewahrt. Und zugleich das, was von ihm übrig geblieben ist, sinnvoll eingesetzt. Für einen guten, nützlichen Zweck.
    Wenn wir Glück haben.
     
    »Kennst du irgendwelche Geschichten?«, fragte ihn Thelma eines Tages.
    »Ja, ich kenne die Geschichte vom Wolf«, sagte er.
    »Vom Wolf und der Großmutter?«
    »Nein. Vom schwarzweißen Wolf. Er lebte oben in einem Baum und stürzte sich von dort aus

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