Der dunkle Spiegel
ich auch.«
»Und darum kommt Ihr zu mir? Weil ihr von mir mildere Buße erwartet?«
»Nein, Pater Ivo. Meine Bemerkungen in der Kirche bereue ich und bin bereit, jede Buße auf mich zu nehmen, von Euch oder irgendwem. Aber ich bin nicht bereit, die Schuld an dem Tod des jungen Burgunders zu bekennen. Und genau das will Bruder Johannes.«
Der Mönch nickte und schien in Gedanken versunken zu sein. Almut drängte es, weiterzusprechen, und sie sagte: »Darum muss ich so schnell wie möglich herausfinden, was mit Jean geschehen ist. Ihr könnt mir dabei helfen. Ihr kanntet den Jungen doch. Bitte beantwortet meine Fragen, Pater Ivo. Vielleicht finde ich eine Spur, einen Hinweis, der mir wenigstens Gewissheit gibt, dass er nicht an unserer Arznei gestorben ist.«
»Begine, wenn es nur das ist, dann hat Euch Euer Witz verlassen. Das ist doch einfach – probiert die Arznei an einem der herumstreunenden Hunde aus!«
»Wenn ich das Krüglein mit der Arznei hätte, könnte ich es tun. Aber es ist verschwunden.«
»Was heißt das?«
»Thea wollte es mitbringen, als sie Jean aufgebahrt hat. Es war nicht mehr in seinem Zimmer.«
»Ich werde mich darum kümmern. Wenn allerdings jemand etwas an der Mixtur verändert hat, werdet Ihr in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. Das ist wohl richtig.«
Almut nickte bedrückt und seufzte.
»Darum ist mir das so wichtig, etwas über Jeans Leben zu erfahren. Könnte ihn jemand angestiftet haben, den Wein zu pantschen? Hat er sich damit in Gefahr gebracht? War er so ein Mensch, der das Abenteuer sucht?«
»Viele Fragen auf einmal, Begine. Aber Ihr habt Recht, sie zu stellen. Ich will Euch berichten, was ich von Jean weiß. Hört zu.«
Almut erfuhr, dass Jean der jüngere von zwei Brüdern war, die Magalone de Champol geboren hatte. Der erste stammte aus einer früheren Beziehung und war zehn Jahre älter als der Nachkömmling. Magalone hatte noch einmal geheiratet, einen vermögenden Weingutbesitzer, der lange um sie geworben hatte und sie über alles liebte. Über die Geburt seines Sohnes und Erben freute er sich selbstverständlich, doch das Kind als solches interessierte ihn wenig. Der Junge blieb lange in der Obhut seiner Mutter und der Amme, ein wenig verzärtelt, aber gut erzogen und gebildet.
»Ich selbst habe ihn erst kennen gelernt, als mich seine Mutter bat, eine Stelle für ihn bei einem Weinhändler in Köln zu finden.«
»Warum bat sie gerade Euch?«
»Warum stellt Ihr so neugierige Fragen, Begine? Helfen sie Euch bei der Spurensuche?«
»Nein. Sie rutschen mir immer wieder so raus. Ich kann sie nicht verhindern. Glaubt mir, ich bete jeden Abend auf Knien vor Maria, dass sie mir dabei helfen möge, den Mund zu halten, aber selbst ihr will es nicht gelingen.«
Es schien Almut, als ob Pater Ivos Mundwinkel zuckten, aber vielleicht täuschte sie sich auch.
»Nun, ich habe Magalone vor vielen Jahren kennen gelernt, in einem anderen Leben als diesem, Begine. Uns verbindet eine alte Freundschaft. Aber zu Jean zurück. Ich begleitete ihn von Burgund hierher und brachte ihm unterwegs die Grundzüge unserer Sprache bei. Ich fand ihn aufmerksam und fleißig, von sanftem Gemüt und willig, alles zu tun, was ihm aufgetragen wurde.«
»Wann war das?«
»Vor zwei Jahren. Der Junge war damals siebzehn. Ein hübscher Bursche, doch, und mit gefälligen Manieren. Dennoch fand er nicht leicht Freunde.«
»Fiel ihm der Abschied schwer?«
»Schon möglich, doch er ließ es sich nicht anmerken. Er war ein wenig in sich gekehrt, aber das entsprach seiner Natur.«
»Wie stand er zu seinem älteren Bruder?«
»Der Altersunterschied war beträchtlich, der Ältere kümmerte sich schon um das Gut, als Jean noch mit dem Steckenpferd spielte. Nichtsdestotrotz…«
»Ihr zögert?«
»Nein. Ich dachte nach. Der ältere Sohn genoss wohl sein Vertrauen, und er hatte auch ein offenes Ohr für die Sorgen seines jungen Bruders.«
»Kennt ihr auch diesen Älteren?«
»Flüchtig.«
Almut wunderte sich etwas darüber, dass ihr Gesprächspartner seinen Blick in die Ferne schweifen ließ, doch ein bestimmtes Bild drängte sich ihr auf, das unbedingt an die Oberfläche kommen wollte.
»Pater, Ihr schildert mir einen verwöhnten, sanftmütigen, hübschen Jüngling, der jedermann zu Gefallen wusste, aber unsicher und zurückhaltend blieb. Personen dieser Art sind leichte Opfer willensstärkerer Menschen. Oder habt Ihr andere Erfahrungen gemacht?«
»Nein, das habe ich nicht. Er ließ sich
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