Der dunkle Spiegel
wirklich näher erklären!«
»Sie hatte Angst.«
»Die hatte ich auch!«
Gertrud knetete jetzt ihre bemehlten Hände und suchte nach Worten.
»Es ist nur, Almut, sie hat Angst.«
»Ja, das sagtest du. Wovor?«
»Vor dem Scheiterhaufen!«
»Wer hat davor keine Angst. Ist das ein Grund, andere diesem Schicksal auszuliefern?«
»Almut, sie hat als Mädchen ihre Mutter brennen sehen und ihre Schwester. Ihre Mutter war ein heidnisches, zauberkundiges Kräuterweib, hieß es. Ihre Schwester, so alt wie Trine, war unschuldig. Elsa konnte sich retten. Sie versteckte sich im Wald, lebte monatelang wie ein Tier. Bis wir sie fanden. Sie hörte immer noch die Todesschreie ihrer Mutter und ihrer Schwester. Sie hört sie auch heute noch. Und dann tut sie solche Dinge, wie sie sie dir angetan hat. Aus Angst.«
»Heilige Mutter Maria!«
»Versuch, ihr zu verzeihen, Almut. Sie kann nicht anders.«
»Wer weiß noch davon?«
»Die Meisterin.«
Almut stand auf und legte der grauhaarigen Köchin die Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich knochig und mager an.
»Danke, Gertrud. Ich werde es für mich behalten. Und in ein paar Tagen werde ich meine Wut wahrscheinlich überwunden haben.«
Gertrud nickte nur, drehte sich dann zu Almut um und fragte: »Auch keine Honigkuchen?«
»Davon hat der Priester nichts gesagt.«
»Dann nimm dir welche. Sie liegen in dem Tontopf dort und müssten jetzt langsam richtig gut sein.«
17. Kapitel
Wenngleich die Meisterin die Meinung ver trat, dass Almut sich jetzt nicht mehr um den Fall des ermordeten Jean zu kümmern habe, da ihre Unschuld nun endgültig bewiesen war, so konnte die Begine doch nicht verhindern, dass einige Fragen weiterhin unablässig an ihr nagten. Magda hatte kurzerhand abgelehnt, mit ihr weiter darüber zu diskutieren, und ihr reichlich Aufträge erteilt, die sie von diesem Thema ablenken sollten. So mussten zahlreiche Jahrzeiten eingehalten werden, und Almut verbrachte Stunden auf den Knien, um Fürbitte für verstorbene Stifter und Wohltäter des Konventes zu halten.
Es war Mittwochnachmittag, als sie von einem langen Aufenthalt am Grab eines vermögenden Webers aufstand, der den drei Seidweberinnen die Mitgift gestiftet hatte. Zwei von ihnen hatten sie begleitet, und auch Trine hatte sich ihnen angeschlossen, allerdings nicht, um zu beten, sondern um sich am Leben in der Stadt zu erfreuen. Almut hatte nach den Fürbitten noch keine Lust, in den Konvent zurückzukehren, und trennte sich mit Trine zusammen von den Weberinnen. Sie wollte durch das Weinpförtchen unterhalb von Groß St. Martin zum Rhein gehen, um das geschäftige Treiben dort zu betrachten.
Zu Trines Freude wählte Almut die belebteren Straßen und Plätze und schlenderte auch noch einmal über den Alter Markt mit seinen Buden und Karren, Krämern und Hökerinnen. An einem Stand mit Samthauben und bunten Bändern blieb Trines Blick begehrlich hängen, und auch der exotisch gekleidete Türke mit seinen Vogelkäfigen faszinierte sie, obwohl sie das Gezwitscher und Getriller nicht hören konnte. Die bunten Vögel hüpften und flatterten in ihren geflochtenen Gefängnissen wie lebendig gewordene Edelsteine. Eine Gewürzhändlerin hatte es dem Mädchen dann aber besonders angetan. Neugierig schnuppernd blieb sie stehen und ergötzte sich an dem Geruch von Sternanis und Nelken, Muskatblüten und Ingwerwurzeln und vielen anderen wirklich exotischen Gewürzen. Vor allem ein Topf mit getrockneten weißen Blüten hatte es ihr angetan, die süß und ein wenig bitter rochen. Verlangend zupfte Trine an Almuts Ärmel.
»Was das für Blüten sind, weiß ich nicht«, meinte die Händlerin. »Sie kommen jedenfalls von weit her aus dem Süden. Sie duften gut, doch wozu man sie verwendet, kann ich Euch nicht sagen. Sie waren in einer Lieferung kandierter Früchte dabei, und ich fand sie einfach sehr hübsch. Wollt Ihr sie haben?«
Almut handelte eine Weile mit der gewitzten alten Frau und bekam dann für ein paar Münzen den ganzen Topf. Trine strahlte über das ganze Gesicht und nahm das Gefäß fest in den Arm.
Anschließend wandte Almut sich in Richtung Rhein am Buttermarkt und am Fischmarkt vorbei, und sie erreichten das Weinpförtchen. So nannte man den Durchlass zwischen den eng stehenden Häusern, den alle auf Schiffen angelieferten Weinfässer passieren mussten. Hier wurden sie registriert und gezählt. Derzeit war es ruhig an der Pforte, hingegen wurden wenige Meter weiter an der Fischpforte gerade Fässer
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