Der dunkle Spiegel
geworden, denn sie hatte ein schlechtes Gewissen, und Lügen waren ihr eigentlich ein Gräuel.
»Ich werde es dir erklären, Magda. Aber in gewisser Weise habe ich wirklich meine Familie besucht!«
»Die Magd deiner Mutter war hier, um eine Salbe zu holen, und sie erzählte mir etwas ganz anderes. So, wir sprechen uns, wenn ich zurück bin. Du bleibst in deiner Kammer und kümmerst dich um deine Stickarbeiten.«
»Ja, Meisterin!«
Mit gesenktem Kopf schlich Almut die Stiegen zu ihrem kleinen Zimmer hoch und setzte sich mit dem Handarbeitskorb ans Fenster. Lange jedoch blieb sie nicht allein. Clara klopfte an ihre Tür und steckte die Nase in den Raum.
»Ich habe dir ein paar Gewürzkuchen gebracht, damit du nicht verschmachtest! Ich hörte, du bist in Ungnade gefallen?«
»Zu Recht. Ich habe gegen unsere Regeln verstoßen.«
»Hat es wenigstens Spaß gemacht?«
Almut dachte an ihre sprachlose Schwester und lächelte.
»Nun, manches schon.«
»Erzähl!«
Almut berichtete ihr – nicht alles, aber die wissenswerten Tatsachen. Die Begegnung mit Leon de Lambrays ließ sie aus.
»Magda meint, du sollst dich nicht mehr um die Angelegenheit kümmern, aber ich denke auch, man darf sie nicht einfach auf sich beruhen lassen. Sie meint es gut mit dir, sie will, dass du nicht wieder in Gefahr gerätst. Aber wenn sie heute von ihrem Gang zurückkommt, wird sie es vielleicht anders sehen.«
»Wie meinst du das? Sie sprach von einem großen Auftrag für uns. Was hat der damit zu tun?«
»Ziemlich viel. Es geht um die Aussteuer von Waltruth, der Nichte von Hermann de Lipa.«
»Oh, ich vergaß ganz, der ehrgeizige de Lipa versucht, sich den Patrizierkreisen angenehm zu machen. Und von uns will er die Aussteuer gefertigt bekommen? Verspüre ich da so etwas wie den Wunsch nach Wiedergutmachung?«
Clara erwiderte Almuts spöttisches Lächeln und nickte.
»Es gibt ja schließlich noch die fleißigen Benediktinerinnen und die weißen Frauen, und nicht zu vergessen, eine ganze Menge weiterer Beginen, die schöne Wäsche anzufertigen verstehen.«
»Gut, dann werden wir in der nächsten Zeit alle Hände voll zu tun haben.«
Clara schwatzte noch eine Weile und ließ dann Almut alleine, um ihren Pflichten nachzukommen. Als die Glocken der umliegenden Klöster zur Sext riefen, bat eine der Mägde Almut, ins Refektorium zu kommen. Hier fand sie nicht nur die Meisterin vor, sondern in ihrer Begleitung auch Pater Ivo. Magda schüttelte mit einem schiefen Lächeln den Kopf, als sie ihrer ansichtig wurde.
»Almut, Almut! Meiner Strafpredigt ist der Boden unter den Füßen entzogen worden. Hättest du mir nicht sagen können, dass Pater Ivo dich um deine Mithilfe gebeten hat?«
»Das hätte ich tun können, Magda. Aber ich will aufrichtig sein. Das, was ich gestern tat, um die Antwort auf eine wichtige Frage zu finden, hättest du nicht gebilligt.«
»Habt Ihr denn die Antwort gefunden, Begine?«, wollte Pater Ivo wissen.
»Ja, ich habe Antworten gefunden.«
»Dann wollen wir unsere Antworten zusammenlegen und sehen, welche neuen Fragen sich daraus ergeben.«
»Tauscht Euch aus, ich habe jetzt viel zu tun. Aber ich bitte dich, Almut, halte mich zukünftig auf dem Laufenden.«
»Wollt Ihr mich zum Weingarten begleiten, Begine?«
»Gerne. Bist du einverstanden, Magda?«
»Natürlich.«
Almut und Pater Ivo traten aus dem Dämmer des Refektoriums in das helle Mittagslicht und verließen in gemächlichem Tempo den Beginenhof.
»Nun, Begine?«
»Ich fürchte, ich habe mal wieder gesündigt!«
»Muss ich mir das schon wieder anhören?«
»Ihr wolltet die Antworten erfahren, die ich fand.«
»Und dazu war eine Sünde notwendig?«
»Bedauerlicherweise ja.«
»Dann befreit Eure Seele von dem, was sie beschwert.«
Almut gab ihm eine ausführliche Schilderung des vergangenen Abends, ließ allerdings auch diesmal Leon de Lambrays und die Rolle, die er gespielt hatte, aus. Sie erreichten gerade den Weingarten, als sie geendet hatte, und der Priester, der die ganze Zeit schweigend und aufmerksam zugehört hatte, fasste schließlich zusammen: »Ihr vermutet also, dass Tilmann den Tausch der Weinfässer veranlasst hat, um sie dem Erzbischof zu liefern. Aus sehr wenigen greifbaren Fakten habt Ihr eine sehr umfassende Schlussfolgerung gezogen. Dennoch – sie mag eine Menge Wahrheit enthalten. Ich habe die Brüder befragt, die sich bei uns um die Einkäufe kümmern. Auch sie haben Gerüchte über die Qualität von de Lipas Weinen
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