Der dunkle Spiegel
ihr Retter, und mit dem Rest ihrer Würde sah Almut auf und erstarrte. Schwarze Locken, schwarzes Gewand, ein dunkles Gesicht – der schöne Mann aus Rigmundis’ Vision stand vor ihr.
»Macht den Mund zu, Schwester. Oder macht ihn auf und bedankt Euch!«, kicherte Aziza, die sich, von dem kleinen Aufruhr alarmiert, umgedreht hatte und Almut zu Hilfe eilen wollte.
»Ja… Es war… oh, danke für Eure Hilfe, mein Herr. Sie kam zur rechten Zeit.«
»Gerne geschehen.« Der Dunkle verneigte sich und wandte sich dann ab.
»Aziza, ich möchte nach Hause. Ich habe genug von dieser Schenke. Und genug erfahren habe ich auch.«
»Ich auch. Dann gehen wir.«
Die beiden Frauen mussten sich zwischen den anderen Gästen hindurchwinden, und mehr als einmal wurde Almut gezwickt und getätschelt. Sie war froh, als sie den Ausgang erreicht hatten, und noch glücklicher war sie, als sie die frische kühle Nachtluft einatmen konnte. Bevor sie aus dem Tor traten, richteten sie gegenseitig ihre Kleider wieder her, dann öffneten sie die Pforte, wurden jedoch zurückgehalten.
»Ihr könnt nicht alleine durch die dunklen Gassen gehen! Habt Ihr denn nichts aus dem gelernt, was Euch eben widerfahren ist?«
Der Mann in Schwarz war ihnen mit einer brennenden Fackel gefolgt und sah sie voller Unverständnis an.
Almut zog den Schleier tiefer über die Stirn und entgegnete mit leicht schnippischem Tonfall, der ihre Unsicherheit diesem Mann gegenüber verbergen sollte: »Und da meint Ihr, wir wären so einfältig, uns von einem Unbekannten führen zu lassen?«
»Ich bin gerne bereit, mich vorzustellen, meine Damen. Leon de Lambrays werde ich gerufen und bin häufig in Geschäften in dieser Stadt. Wenn Euch das genügt, will ich Euch gerne zu Eurem Heim begleiten.«
»Das ist sehr freundlich von Euch.«
Aziza schenkte ihm eines ihrer verführerischen Lächeln und knuffte Almut in die Seite. Gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg. Almut schwieg, nur zu gut erinnerte sie sich an den Blick, den Leon de Lambrays ihr in der Kirche während der Bahrprobe zugeworfen hatte. Sie hoffte inständig, er mochte sie nicht erkannt haben. Aziza hingegen plauderte fröhlich mit ihrem Begleiter und ließ durchblicken, dass sie nicht uninteressiert war, ihre Bekanntschaft zu vertiefen. So erreichten sie ihr Haus und verabschiedeten sich voneinander.
»Fragt nach Aziza, wenn Ihr wieder einmal Lust auf einen nächtlichen Bummel habt!«, sagte sie, als er sich schon fast umgedreht hatte.
Er lächelte nur und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
»Heilige Maria, Aziza, wie konntet Ihr nur!«
»Was ist, Schwester? Selbst interessiert an Leon de Lambrays?« Aziza sperrte die Tür auf.
»Nein, natürlich nicht. Aber was mag er von mir denken? Wenn er mich wiedererkannt… ?«
»Dann wohnt Ihr im Haus der maurischen Hure – ist es das, was Euch Sorgen bereitet?«
Etwas fahrig streifte Almut den Schleier aus dem Gesicht und wusste nicht, was sie antworten sollten. Denn genau dieser kleinliche Gedanke hatte sie angeflogen.
»Macht Euch keine Sorgen, Schwester, es war dunkel, und Ihr habt Euer Gesicht hübsch geheimnisvoll verhüllt. Und wenn er Euch dennoch erkennt… Insh’ allah!«
»Was heißt denn das?«
»Et kütt, wie et kütt!«
Wider Willen musste Almut grinsen. Es war vermutlich gleichgültig, was der schöne Mann von ihr dachte. Sie hatte einen anderen Weg gewählt, als dass sie sich darüber Gedanken machen musste.
»Seid Ihr müde, oder wollen wir unsere gemeinsame Beute begutachten?«, fragte Aziza und wies auf die gepolsterte Bank.
»Ich bin noch nicht schläfrig. Dafür ist das alles viel zu ungewohnt für mich. Lasst uns sehen, was wir herausgefunden haben.«
Aziza kam mit einem Krug und Bechern und schenkte einen verdünnten, hellen Wein ein.
»Fangt Ihr an, Schwester. Was hat Tilmann Euch verraten?«
»Er hat seine Finger im Weinhandel, und in jener Schenke stehen mindestens zwei Fässer, die er geliefert hat. Er nannte sie »unsere Fässer«. Eines davon enthält einen wirklich köstlichen Rotwein, das andere eine gepantschte, kaum genießbare Brühe. Er ist unzufrieden mit dem Lieferanten. Er nannte ihn den »Burgunder« und meinte, er sei schlampig geworden. Ich denke, wir können ziemlich sicher sein, dass Tilmann in das Geschäft mit dem Pantschwein zumindest verwickelt ist, wenn er nicht sogar der Drahtzieher ist. Allerdings hat er behauptet, er sei acht Tage nicht in der Stadt gewesen. Das bedeutet – lasst
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