Der dunkle Spiegel
Aufgaben und nahm ihn hin und wieder auch zu Kunden mit. Ja, wenn ich es recht bedenke – es war die Zeit der Weinlese. Seit dem Herbst des vergangenen Jahres hat er sich verändert. Er war mit de Lipa zum Weingut hinausgefahren, um bei der Lese zu helfen…«
»Und fand die dralle Winzertochter allzu verführerisch?«
»Vielleicht… Aber von solchen Anfechtungen hätte er sicher gesprochen. Sie gehören nicht zu den Todsünden.«
»Aber sie sind beunruhigend!«
»Sicher, vor allem in seinem Alter. Aber, Begine, gesteht mir ein wenig Lebenserfahrung zu. Solche Dinge hätte ich schon aus ihm herausbekommen.«
»Natürlich, Pater. Eure langjährige Erfahrung mit drallen Winzertöchtern…«
Verblüfft bemerkte Almut, wie Pater Ivo den Blick senkte. Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass ihn eine wahrlich langjährige Freundschaft mit Magalone, Jeans Mutter, verband. Vielleicht auch mehr. Entschuldigend sagte sie: »Oh, ich wollte nicht…!«
»Eure Zunge geht mal wieder mit Euch durch. Befassen wir uns mit Jean und seinen Sorgen. Ihr habt sicher richtig geschlossen, dass bei seinem Aufenthalt auf dem Weingut etwas geschehen ist, das ihn tief betroffen gemacht hat und das er trotz allen Vertrauens zu mir nicht beichten wollte.«
»Trotz – oder wegen?«
»Ja, auch das ist denkbar.«
»Vielleicht hat er es einem anderen Priester gebeichtet?«
»Nicht, dass ich wüsste. Es ändert aber auch nichts, wir würden es nicht erfahren.«
»So müssen wir an anderer Stelle weiterforschen. Seine Freunde, die Arbeiter in de Lipas Lager, die Dienstleute im Haus – es gibt sicher viele Möglichkeiten. Auf jeden Fall aber Tilmann selbst.«
»Von dem, Begine, lasst Ihr Eure Finger!«
»Warum? Er zumindest weiß etwas über Jean!«
»Fandet Ihr die Aufmerksamkeiten, die er Euch widmete, so angenehm? Habt Ihr vielleicht etwas zu berichten vergessen?«
Sacht errötend antwortete Almut: »Keine Anfechtungen dieser Art. Aber, Pater, ich frage mich allmählich, ob das, womit Tilmann ihn unter Druck gesetzt hat, überhaupt im Zusammenhang mit seinem Tod steht. Außer es war so belastend für ihn, dass er sogar selbst das Gift genommen hat?«
Schweigend starrte Pater Ivo über das grüne Rebenfeld. Er selbst hatte Jean ein christliches Begräbnis in geweihter Erde zuteil werden lassen, und wenn diese Vermutung zutraf, dann musste das weit reichende Konsequenzen haben. Selbstmördern wurde eine solche heilige Ruhestätte verwehrt.
»Pater, sollten wir nicht unsere Bemühungen einstellen? Lassen wir die Toten ruhen und den Begrabenen ihren Frieden.«
»So einfach geht das nicht, Begine. Auch wenn Eure Überlegung es wert ist, überdacht zu werden. Aber wir kommen nicht sehr viel weiter, ohne neue Nachforschungen anzustellen. Es wäre gut, den Haushalt de Lipas näher in Augenschein zu nehmen.«
Almut schwieg einen Moment lang und ging im Geiste die Bewohner dieses Hauses durch. Plötzlich schlug sie die Hand an den Mund und gab einen kleinen Schnaufer von sich.
»Der Spiegel, Pater Ivo! Den hatte ich beinahe vergessen.«
»O ja, der Spiegel. Ich vergaß ihn nicht. Ich habe sogar schon versucht herauszufinden, woher seine Schwärzung stammt. Unser Krankenpfleger, Bruder Markus, kennt sich recht gut mit allen möglichen Kräutern, Elixieren und auch Giften aus. Aber eines, das Silber schwärzt, ist ihm nicht bekannt. Er gab aber zu, dass es möglicherweise Stoffe gibt, die so etwas verursachen. Wir wollten gemeinsam in der Bibliothek nachschlagen, doch die wichtigsten Bücher zu diesen Themen befinden sich im Kloster St. Heribert in Deutz.«
»Sind sie verbrannt?«
»Nein, sie sind in Sicherheit. Ich habe die Folianten selbst getragen. Nur hatte ich keine Zeit, sie zu studieren. Und ich fürchte auch, so leicht werde ich darauf in der nächsten Zeit keinen Zugriff haben. Aber Bruder Markus kennt auch noch einige andere Apotheker und Kräuterhändler, die ich noch aufsuchen werde. Wie steht es mit Eurer Kräuterfrau? Sie ist doch auch sehr bewandert in diesen Dingen?«
»Es ist etwas schwierig, mit ihr über diesen Verdacht zu sprechen.«
»Weiß sie von dem Spiegel?«
»Nein. Davon wisst nur Ihr.«
»Das mag von Vorteil sein. Fragt sie einfach danach, was die Schwärzung von Silber verursacht.«
»Ich kann es versuchen.« Dann sinnierte Almut: »Wenn man bedenkt, dass es Frau Dietkes Spiegel ist…«
»…dann sollte man sich fragen, was Frau Dietke alles über Jean weiß, meint Ihr?«
Almut nickte.
»Sie hätte
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