Der dunkle Thron
Vater hörte: »Das kannst du nicht veröffentlichen, Simon.«
»Warum nicht?«, fragte eine junge Stimme rebellisch. »Jedes Wort ist wahr.«
»Mag sein. Aber du hast bereits Kardinal Wolseys Zorn erregt. Hierfür würde er dich brennen lassen. Sei versichert, er wird nicht dulden, dass du noch einmal lebend das Land verlässt. Ganz abgesehen davon, dass du Henry hiermit in die Hände spielen würdest.«
»Umso besser. Dann wird er eine schützende Hand über mich halten, ganz gleich, was sein Kardinal und Lord Chancellor will.«
Jasper of Waringham schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Wie kannst du so naiv sein? Der König wird dich benutzen, solange es seinen Absichten dient, und dann wird er dich fallenlassen. Und seine Absichten zielen nicht auf eine Reform der Kirche, sei versichert.«
Nick wurde heiß und kalt, als er seinen Vater mit so offenkundiger Verachtung von König Henry sprechen hörte. Am liebsten hätte er sich davongeschlichen, aber seine Neugier überwog sein Unbehagen. »Entschuldige, Vater.« Er umrundete den Busch und gelangte auf das kleine Rondell, wo Lord Waringham und sein Besucher auf einer steinernen Bank saßen. »Ich wusste nicht, dass du einen Gast hast.«
»Nick!« Sein Vater lächelte und war anscheinend überhaupt nicht erschrocken über das plötzliche Auftauchen seines Sohnes. »Hier, dies ist Simon Fish, ein guter Freund. Simon: Mein Sohn, Nicholas.«
Nick stockte beinah der Atem. Der Name Simon Fish war ihm geläufig, denn dieser Mann war ein berüchtigter Häretiker. Aber der junge Waringham verbarg sein Befremden hinter einem höflichen Lächeln und verneigte sich. »Eine Ehre, Master Fish.«
Der erhob sich und neigte das Haupt mit dem alten, verschossenen Hut. »Sir Nicholas. Ist es nicht ein herrliches Wunder, dass der Regen aufgehört hat?«
»Allerdings, Sir. Ich hoffe nur, es ist nicht zu spät für die Ernte.«
»Hast du mich gesucht?«, fragte Lord Waringham. Es klang nicht unfreundlich, aber Nick spürte deutlich, dass sein Vater ihn loswerden wollte.
Zu gerne hätte der Junge erfahren, was es mit diesem Gespräch und dem so konspirativ anmutenden Treffen im Rosengarten auf sich hatte, aber ihm blieb lediglich der geordnete Rückzug. »Nein. Ich wollte nur einmal durch den Garten gehen. Tut mir leid, wenn ich euch gestört habe.« Er verneigte sich nochmals vor dem Gast. »Guten Tag, Master Fish.«
»Nein, wartet«, hielt der ihn zurück, und ein mutwilliges Funkeln trat in seine Augen. Nick stellte ein wenig befremdet fest, dass ihm dieser Ketzer sympathisch war. Simon Fish war noch keine dreißig, aber er hatte als Jurist wie auch als Kirchenkritiker in London von sich reden gemacht: Ein eher kleiner, schlanker Mann mit hellbraunem Haar und dem brennenden Blick eines Fanatikers, in den dunklen, schlichten Kleidern, welche die Humanisten bevorzugten. »Ihr wart auf Thomas Mores Schule, richtig?«
»Ja, Sir.«
»Und würdet Ihr sagen, man hat Euch dort gelehrt, ohne Scheuklappen zu denken?«
»Simon, um Himmels willen …« protestierte Lord Waringham.
Nick wurde unbehaglich. »Ich bin nicht sicher«, bekannte er.
Simon Fish drückte ihm unvermittelt in die Finger, was er in der Rechten gehalten hatte. »Werft einen Blick hierauf und sagt mir, was Ihr denkt, mein Junge.«
Nick schaute auf das Deckblatt der mehrseitigen Streitschrift hinab, und von einem Moment zum nächsten wurden seine Knie so butterweich, dass er neben seinem Vater auf die Bank niedersank, obwohl es unhöflich war. Es war ein überaus kunstvoll gearbeiteter Holzschnitt, der einen fettleibigen, nackten Mann darstellte, welcher auf dem Rücken ausgestreckt in den Armen eines Teufels lag. Der Satan spie einen wasserfallgleichen Strom in den Mund des Fettwanstes. Ein zweiter Teufel kniete daneben, hielt dem Nackten die Hand und tat das gleiche. Das Schlimme an diesem Bild war nicht, dass es so aussah, als göbelten die beiden Teufel dem armen Kerl in den Mund, denn Nick wusste, es sollte symbolisieren, dass sie ihn inspirierten – ihm ihren Geist einhauchten. Nein, das Schlimme an dem Bild war, dass der nackte schwabbelige Greis, dessen Geschlecht nur unzureichend mit einem zu kleinen Feigenblatt bedeckt war, eine Papstkrone trug.
Nick räusperte sich und schlug das Pamphlet mit nicht ganz ruhigen Fingern auf. Es trug den Titel Bittschrift für die Bettler , der sich als äußerst zweideutig erwies, denn der Inhalt war eine Aufzählung der fragwürdigen Methoden und regelrechten
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