Der dunkle Thron
klar?«
»Ich bin nicht respektlos zu Euch, weil ich Euch für einen Emporkömmling halte, Mylord«, stellte Nick klar.
»Sondern warum?«
»Weil Ihr einmal der beste Freund meines Vaters wart und ihn wie einen heißen Stein habt fallen lassen.«
»Das hat er gesagt, ja?«, fragte der Herzog leise.
»Nein. Er redet niemals über die Dinge, die damals geschehen sind. Aber ich sehe, was ich sehe.«
»Und nichts sonst.« Suffolk ließ ihn los. »Steh auf und setz dich hin. Ich glaube, du und ich haben allerhand zu bereden.«
Nick kam auf die Füße und wandte sich langsam zu ihm um. »Ich bitte Euch, lasst mich gehen, Euer Gnaden. Ich will nichts hören. Ich will nur versuchen, für meinen Vater zu tun, was ich kann.«
Suffolk setzte sich in einen Sessel am Kamin und betrachtete den jungen Waringham einen Moment ernst. »Niemand kann mehr irgendetwas für deinen Vater tun.«
Nick biss die Zähne zusammen und ließ ihn nicht aus den Augen. »Ist er tot?«
Der Herzog schüttelte den Kopf.
Der Schmerz und das unzureichend verhohlene Grauen, das der Junge in den warmen, braunen Augen entdeckte, trafen ihn unvorbereitet. Er machte einen unsicheren Schritt nach hinten, tastete nach dem zweiten Sessel und sank hinein. »Was … was tun sie mit ihm im Tower?«
»Das willst du nicht wissen.«
Nick kniff für einen Moment die Augen zu. »Was wollen sie denn von ihm? Einen Widerruf? Oder ein Geständnis? Für eine Tat, die er nicht begangen hat, damit alles seine Ordnung hat und sie ihn hinrichten können? Warum? Warum jetzt? Zehn Jahre lang hat sich niemand um uns gekümmert. Was hat sich mit einem Mal geändert?«
Suffolk stand auf, trat zu einer Tür, die in den Nebenraum führte, und Nick hörte ihn murmelnd ein paar Anweisungen geben. »Ich habe nach Wein und Speisen geschickt«, sagte der Herzog, als er zurückkam. »Ich habe das Gefühl, wir werden ein Weilchen hier sein.«
»Wird Euer König Henry Euch nicht in der Halle vermissen?«, fragte Nick bitter.
»Er wird nicht einmal bemerken, dass mein Platz leer bleibt. Heutzutage hat der König nur Augen für eine Person. Du hast sie ja gesehen. Ich nehme an, du weißt, wer die Dame an seiner Seite war?«
»Lady Anne Boleyn, nehme ich an.« Nicks Stimme war anzuhören, dass ihn nichts auf der Welt weniger kümmerte als König Henrys Weibergeschichten.
Der Herzog setzte sich wieder. »Vermutlich die nächste Königin von England. Jedenfalls wenn es nach Henry geht. Aber die Annullierung seiner Ehe mit Catalina von Aragon kommt einfach nicht voran. Kardinal Wolsey hat die Angelegenheit gründlich verbockt. Das große ›Königliche Anliegen‹. Darüber ist der König ausgesprochen … verstimmt. Worüber wiederum unser guter Kardinal besorgt ist. Und je länger das Königliche Anliegen sich hinzieht, desto besorgter wird der Kardinal, denn seine Position wackelt.«
»Und was hat das alles mit meinem Vater zu tun? Was hat der Kardinal davon, meinem Vater Ketzerei vorzuwerfen?«
Suffolk schüttelte seufzend den Kopf. »Ich wünschte, ich wüsste es. Dann könnte ich vielleicht irgendetwas tun. Aber ich werde nicht klug aus der ganzen Geschichte. Ich habe nur eine Erklärung: Kardinal Wolsey will Jasper of Waringham vernichten, ehe dein Vater Wolseys derzeitige prekäre Lage ausnutzt, um aus der selbst erwählten Versenkung aufzutauchen und zum großen, lange überfälligen Gegenschlag auszuholen.«
Nick verstand nicht, wovon sein Pate sprach, aber wann immer zu Hause Kardinal Wolseys Name gefallen war, hatte der Junge gemerkt, dass sein Vater den mächtigen Lord Chancellor verabscheute. Er hatte geglaubt, es liege daran, dass der Kardinal alles zu verkörpern schien, was in der Kirche reformbedürftig war: Wolsey scherte sich nicht um das Seelenheil der ihm anvertrauten Gläubigen, sondern strebte nach weltlicher Macht und nach Reichtümern. Und es waren weder die zehn Gebote noch die Lehren Christi, die er zum Maßstab bei der Wahl seiner Mittel nahm. Jetzt kamen dem Jungen indes Zweifel, ob das wirklich alles war. »Mein Vater und der Kardinal haben eine persönliche Fehde?«, fragte er.
Suffolk zog die Brauen in die Höhe. »So kann man es auch nennen«, erwiderte er trocken. »Ah! Hier kommt der Wein.« Der junge Ritter, dem Nick bereits am Nachmittag begegnet war, trat ein, verneigte sich schweigend vor dem Herzog und winkte dann einen Diener herein, der ein Tablett mit silbernen Krügen und Platten auf den Tisch am Fenster stellte und sich unter
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