Der dunkle Thron
Ihr wisst, was gut für Euch ist. Gesetz hin oder her, ich hätte nicht übel Lust, Euch an den Pranger zu stellen, so wie man es mit Huren macht. Und seid versichert, dass der Sheriff sich brennend für Eure Attacke gegen Sir Edmund Howard interessieren wird.«
»Dem sehe ich gelassen entgegen, Mylord«, konterte sie. Es war nicht einmal gelogen. Beide Londoner Sheriffs waren vernünftige Männer, die obendrein regelmäßig an den Tafeln von Philipp Durham und John Harrison speisten. »Ich warte draußen, Nick.«
Er sah sie immer noch nicht an.
»Ich fürchte, da werdet Ihr alt und grau werden, Madam«, eröffnete Richard Rich ihr. Dann wandte er sich an Nick. »Wir haben die Dame vornehmlich deswegen verhaftet, um Euch herzulocken und um einen Anlass zu haben, uns in Waringham umzusehen, Mylord. Gründlich umzusehen, versteht Ihr, und ich muss sagen, das war ausgesprochen lohnend. Wir haben jede Menge verbotener Bücher gefunden. In einem Verlies, ob Ihr’s glaubt oder nicht. Und Schriftstücke verräterischen Inhalts in Eurer Handschrift. Die Frage ist eigentlich nur noch, ob Ihr wegen Ketzerei oder Verrats verurteilt werdet.«
London, März 1545
Als Nick das letzte Mal durch das Water Gate in den Tower of London gekommen war, war er angeschossen und mehr tot als lebendig gewesen, sodass er kaum Erinnerungen an seine Ankunft hatte. Fast wünschte er, das wäre heute wieder der Fall, denn er wusste nicht, wie er das, was er fühlte, handhaben sollte. Sie hatte ihn angelogen. All die Jahre lang hatte sie ihm etwas vorgespielt, um ihn auf Armeslänge von sich fernzuhalten. In Wirklichkeit hatte sie ihm nie getraut. Nicht genug jedenfalls, um ihm die Wahrheit zu sagen. Auch nicht genug, um ihm zu sagen, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Das, was er für das Kostbarste in seinem Leben gehalten hatte, war eine Illusion gewesen. Eine Lüge. Janis hatte ihn benutzt, um das zu bekommen, was sie wollte: ihre Schule, ihre Bücher, ihre Freiheit. Ihn hatte sie billigend in Kauf genommen. Das war alles.
Er fühlte sich desorientiert und krank.
»Was ist, Waringham, wollt Ihr eine schriftliche Einladung?«, fragte der Yeoman Warder am Kai mit einer ungeduldigen Geste.
Nick stand auf und stieg aus dem wackligen Boot.
»Nach Euch, Mylord. Ihr kennt den Weg ja.« Er wollte Nick eine Hand auf die Schulter legen, aber der schüttelte ihn ab.
Schweigend durchquerten sie den windigen Innenhof, wo eine dünne verharschte Schneekruste das Gras bedeckte. Auf dem Holzgerüst mit der Sturmglocke vor dem White Tower saß ein Rabe und krächzte, als sie vorbeigingen.
In der Halle des Hauptgebäudes der weitläufigen Festungsanlage erwartete ihn der neue Constable: ein Mann in seinem Alter mit schütterem blonden Haar und hohlen Wangen. Seine Miene war verdrossen, und er war nervös. »Lord Waringham. Mein Name ist John Gage.«
»Ich weiß.«
»Dann wisst Ihr vielleicht auch, dass ich hier kein komfortables Gasthaus führe, wie mein Vorgänger es zu tun pflegte.«
Nick antwortete nicht. Er legte keinen Wert auf Komfort. Er wollte nur seine Ruhe.
»Auf Anweisung des Kronrats seid Ihr in Einzelhaft zu halten, Mylord. Ob das hier im modrigen Keller des White Tower oder in einem der luftigen kleinen Quartiere drüben im Salt Tower sein wird, hängt allein von Euch ab. Ihr bekommt einen halben Laib dunkles Brot, einen Krug Ale und eine Schale Suppe am Tag. Über Vergünstigungen wie eigene Dienerschaft und besseres Essen auf eigene Kosten entscheidet der Kronrat. Noch Fragen?«
Nick schüttelte den Kopf.
»Also dann. Wenn Ihr ein Quartier im Salt Tower wollt, wäre jetzt der Moment, darum zu bitten.«
Nick zuckte desinteressiert die Achseln, riss mit einem kleinen Ruck seine Börse vom Gürtel und warf sie dem Constable zu. »Bedient Euch.«
John Gage schüttelte lächelnd den Kopf. »Ihr habt mich missverstanden. Ich bin nicht bestechlich, Mylord. Ich möchte, dass Ihr mich bittet . Versteht Ihr?«
Was Nick verstand, war, dass John Gage ein erbärmliches und vermutlich grausames kleines Wiesel war. Ein Feigling wie so viele Kerkermeister, die es genossen, ihre Gefangenen zu demütigen, weil es ihnen ein Gefühl von Macht verlieh, ohne dass sie irgendetwas riskierten. »Nein, danke, Sir John. Ich wäre schon zufrieden damit, nicht mehr die faulige Luft atmen zu müssen, die Ihr verströmt. Wo, ist mir gleich.«
John Gages Augen glommen auf, und er rammte Nick die Faust in den Magen.
Nick taumelte hustend gegen die Mauer,
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