Der Dunkle Turm 3 - Tot
Abschlußaufsätze nach dem entscheidenden falsch gesetzten Komma oder einem unklaren Ausdruck absuchten, aber diese Geräusche schienen weit entfernt zu sein.
Die Tür hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
In den letzten zehn Tagen oder so waren die Stimmen in seinem Kopf immer lauter geworden, und Türen hatten Jake immer mehr fasziniert. Er mußte diejenige zwischen seinem Schlafzimmer und dem oberen Flur allein vergangene Woche an die fünfhundertmal aufgemacht haben, die zwischen Schlafzimmer und Bad gut tausendmal. Jedesmal hatte er dabei einen festen Knoten der Erwartung in der Brust gespürt, als läge die Lösung für all seine Probleme hinter dieser Tür oder der anderen, und er würde sie schon finden… irgendwann. Aber jedesmal fand er nur den Flur oder das Bad oder den Gehweg oder was auch immer.
Letzten Donnerstag war er von der Schule nach Hause gekommen, hatte sich aufs Bett geworfen und war eingeschlafen; der Schlaf, so schien es, war die einzige Zuflucht, die ihm noch geblieben war. Aber als er fünfundvierzig Minuten später erwacht war, hatte er neben dem Bücherregal an der Wand gestanden. Er hatte die Form einer Tür auf die Tapete gemalt. Zum Glück hatte er einen Bleistift benützt, daher hatte er die schlimmsten Spuren wieder ausradieren können.
Als er sich jetzt der Tür zur Garderobe näherte, verspürte er dasselbe Kribbeln der Hoffnung und die Gewißheit, daß diese Tür nicht in einen halbdunklen Wandschrank führen würde, in dem nur die Gerüche des Winters vorherrschten – Flanell, Gummi und nasser Pelz –, sondern in eine andere Welt, wo er wieder gesund sein konnte. Heißes, grelles Licht würde in einem Dreieck auf den Boden des Klassenzimmers fallen, und er würde Vögel an einem blaßblauen Himmel kreisen sehen, der die Farbe (seiner Augen) von verblichenen Jeans hatte. Ein Wüstenwind würde ihm das Haar zurückwehen und den nervösen Schweiß auf seiner Stirn trocknen.
Er würde durch diese Tür gehen und geheilt sein.
Jake drehte den Knopf und machte die Tür auf. Dahinter lagen nur Dunkelheit und eine Reihe Kleiderhaken aus Messing. Ein längst vergessener Fäustling lag bei dem Stapel Tabellenbücher in der Ecke.
Seine Hochstimmung verschwand, und ihm war plötzlich danach zumute, sich einfach in diesem dunklen Raum mit den bitteren Gerüchen nach Winter und Kreidestaub zu verkriechen. Er konnte den Handschuh weglegen und sich in die Ecke unter die Haken setzen. Er konnte sich auf die Gummimatte setzen, wo man im Winter die Stiefel abstellte. Er konnte dort sitzen, den Daumen in den Mund stecken, die Knie an die Brust ziehen, die Augen zumachen und… und…
Und einfach aufgeben.
Diese Vorstellung – die Erleichterung dieser Vorstellung – war unglaublich anziehend. Es würde das Ende von Entsetzen und Verwirrung und Desorientierung bedeuten. Das letztere war wahrscheinlich das Schlimmste: das beharrliche Gefühl, als hätte sich sein ganzes Leben ins Spiegelkabinett eines Jahrmarkts verwandelt.
Aber Jake hatte so sicher einen Kern aus Stahl, wie Eddie und Susannah ihn hatten. Dieser ließ nun sein stumpfes blaues Leuchten in der Dunkelheit aufblitzen. Nicht aufgeben. Was in ihm nicht stimmte, konnte ihm letztendlich doch noch die geistige Gesundheit rauben, aber bis dahin würde er ihm nicht nachgeben. Falls doch, sollte ihn der Teufel holen.
Niemals! dachte er verbissen. Niemals! Nie…
»Wenn du die Inventur der Vorräte in der Garderobe abgeschlossen hast, John, könntest du dich vielleicht zu uns gesellen«, sagte Ms. Avery mit ihrer trockenen, kultivierten Stimme hinter ihm.
Leises Kichern kam auf, als Jake sich von dem Garderobenraum abwandte. Ms. Avery stand hinter ihrem Schreibtisch, hatte die langen Finger leicht auf die Unterlage gestützt und sah ihn mit ihrem ruhigen, intelligenten Gesicht an. Heute trug sie ihren blauen Hosenanzug und hatte das Haar wie üblich zu einem Knoten hochgesteckt. Nathaniel Hawthorne sah über ihre Schultern und betrachtete Jake stirnrunzelnd aus seinem Bilderrahmen an der Wand.
»Tut mir leid«, sagte Jake und machte die Tür zu. Sofort überkam ihn der fast übermächtige Impuls, sie wieder aufzumachen, noch einmal nachzusehen und zu überprüfen, ob die andere Welt mit ihrer heißen Sonne und dem Wüstenpanorama diesmal dasein würde.
Statt dessen ging er zu seinem Platz zurück. Petra Jesserling sah ihn mit fröhlichen, tanzenden Augen an. »Nimm mich nächstes Mal mit da rein«, flüsterte sie. »Dann hast du
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