Der Dunkle Turm 4 - Glas
würde völlig ausreichen.«
An diesem Punkt stürzte sich Cuthbert beinahe auf Roland und wollte schreien: Ja, warum nicht? Dann könntest du sie morgen früh auch noch pimpern, und nicht nur morgen Nachmittag! Du Idiot! Du hirnloser, verliebter Idiot!
Al rettete ihn – rettete sie möglicherweise alle.
»Sei kein Narr«, sagte er schneidend, und Roland fuhr überrascht zu ihm herum. An einem solchen Ton aus dieser Richtung war er nicht gewöhnt. »Du bist unser Anführer, Roland – so sehen es Thorin, Avery und die Leute in der Stadt. Und so sehen wir es auch.«
»Niemand hat mich dazu…«
»Das war auch nicht nötig!«, brüllte Cuthbert. »Du hast dir deine Waffen doch schon verdient! Die Leute hier würden es zwar kaum glauben – in letzter Zeit kann ich es selbst kaum glauben –, aber du bist ein Revolvermann! Du musst gehen. Das ist doch klar wie Kloßbrühe! Es spielt keine Rolle, wer von uns dich begleitet, aber du musst gehen!« Er hätte mehr sagen können, viel mehr, aber wenn er es tat, wo würde es enden? Wahrscheinlich damit, dass ihre Freundschaft unwiderruflich zerbrach. Also hielt er den Mund – diesmal musste Alain ihm keinen Tritt geben – und wartete wieder auf die Explosion. Und abermals blieb sie aus.
»Na gut«, sagte Roland in seiner neuen Art – dieser sanften Spielt-keine-große-Rolle-Art, bei der Cuthbert ihn stets beißen wollte, um ihn aufzuwecken. »Morgen Vormittag. Du und ich, Bert. Ist dir acht Uhr recht?«
»Vollkommen«, sagte Cuthbert. Nun, wo die Entscheidung gefallen war, schlug sein Herz wie wild, und die Muskeln seiner Oberschenkel fühlten sich wie Gummi an. So hatte er sich auch nach ihrer Auseinandersetzung mit den Großen Sargjägern gefühlt.
»Wir werden uns fein herausputzen«, sagte Roland. »Nette Jungs aus den Inneren, mit guten Absichten, aber nicht viel Grips. Prächtig.« Und dann ging er ins Haus, wobei er nicht mehr grinste (was eine Erleichterung war), sondern nur noch verklärt lächelte.
Cuthbert und Alain sahen sich an und ließen die angehaltene Luft als gemeinsamen Stoßseufzer entweichen. Cuthbert nickte mit dem Kopf zum Hof und ging die Treppe hinunter. Alain folgte ihm. Die beiden Jungs blieben mit dem Rücken zum Schlafhaus in der Mitte des gestampften Rechtecks stehen. Im Osten war der aufgehende Vollmond hinter einem Wolkenstreifen verborgen.
»Sie hat ihn verhext«, sagte Cuthbert. »Ob sie es will oder nicht, am Ende wird sie uns alle umbringen. Pass nur auf, so wird es kommen.«
»So etwas solltest du nicht mal im Scherz sagen.«
»Na gut, sie wird uns mit den Juwelen des Eld krönen, und wir werden alle ewig leben.«
»Du musst damit aufhören, wütend auf ihn zu sein, Bert. Du musst.«
Cuthbert sah ihn trostlos an. »Ich kann aber nicht.«
4
Die schweren Herbststürme waren immer noch rund einen Monat entfernt, aber der folgende Morgen zog dennoch diesig und grau herauf. Roland und Cuthbert hüllten sich in serapes, ritten in die Stadt und überließen Alain die wenigen häuslichen Pflichten. Roland hatte die Liste der Farmen und Ranches im Gürtel stecken – angefangen mit den drei kleinen im Besitz der Baronie –, die sie in der vergangenen Nacht ausgearbeitet hatten. Der Zeitplan, den die Liste vorgab, war auf fast lächerliche Weise großzügig bemessen – er würde sie fast bis zum Jahrmarkt des Jahresausklangs auf der Schräge und in den Plantagen beschäftigt halten –, stimmte aber mit dem Tempo überein, das sie bereits auf den Piers vorgelegt hatten.
Nun ritten sie beide schweigend in die Stadt und hingen ihren jeweiligen Gedanken nach. Ihr Weg führte sie am Haus der Delgados vorbei. Roland schaute auf und sah Susan am Fenster sitzen, eine strahlende Vision im grauen Licht dieses Herbstmorgens. Das Herz ging ihm über, und auch wenn er es da noch nicht wusste, so würde er sie für alle Zeiten am deutlichsten in Erinnerung behalten – die liebliche Susan, das Mädchen am Fenster. So begegnen uns die Gespenster, die uns unser ganzes Leben lang heimsuchen; sie sitzen unspektakulär am Straßenrand wie arme Bettler, und wir sehen sie nur aus den Augenwinkeln; wenn wir sie überhaupt sehen. Der Gedanke, dass sie da auf uns gewartet haben, kommt uns selten, wenn überhaupt, in den Sinn. Und doch warten sie, und wenn wir vorbei sind, nehmen sie ihre Bündel der Erinnerung und folgen uns, treten in unsere Fußstapfen und holen Schritt für Schritt auf.
Roland hob grüßend eine Hand. Er führte sie
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