Der Dunkle Turm 6 - Susannah
Gefühl, dass sie das tun wird. Im Jahre 2007, 2057, 2525, 3700… Teufel, sogar im Jahr 19000… Ich glaube, sie wird ewig dort stehen. Auch wenn sie vielleicht sehr verletzlich wirkt, glaube ich, dass sie unsterblich ist. Aber wir müssen für sie vorsorgen, so lange, wie wir die Gelegenheit dazu haben. Weil dies hier die Schlüsselwelt ist. Auf dieser bekommt man keine zweite Chance, noch ein wenig nachzuschnitzen, wenn der Schlüssel nicht passt. Auf dieser gibt es keine Wiederholungen, glaube ich.«
Roland dachte darüber nach, dann zeigte er auf die unbefestigte Zufahrt, die unter die Bäume davonführte. In einen Wald aus sie beobachtenden Gesichtern und singenden Stimmen hinein. In einen harmonischen Zusammenklang all dessen, was dem Leben Wert und Bedeutung verlieh, was die Wahrheit bewahrte, was sich zum Weißen bekannte. »Und was ist mit dem Menschen, der am Ende dieser Straße lebt, Eddie? Falls es ein Mensch ist.«
»Ich bin mir sicher, dass es einer ist – und das nicht nur wegen John Cullums Schilderung. Es liegt daran, was ich hier fühle.« Eddie klopfte sich mit der flachen Hand auf eine Stelle über seinem Herzen.
»So denke ich auch.«
»Sagst du das, Roland?«
»Aye, das tue ich. Glaubst du, dass er unsterblich ist? Ich habe in meiner Zeit viel gesehen und gerüchteweise noch viel mehr gehört, aber nie von einem Menschen, der das ewige Leben besitzt.«
»Ich glaube nicht, dass er unbedingt unsterblich sein muss. Ich glaube, dass er nur die richtige Geschichte schreiben muss. Manche Storys besitzen nämlich das ewige Leben.«
Verstehen ließ Rolands Blick aufleuchten. Endlich, dachte Eddie. Endlich sieht er’s auch.
Aber wie lange hatte er selbst gebraucht, um das alles zu erkennen und dann auch zu akzeptieren? Nach all den anderen Wundern, die er gesehen hatte, hätte er weiß Gott dazu imstande sein müssen, aber trotzdem hatte er diesen letzten Schritt lange nicht tun können. Selbst die Entdeckung, dass Pere Callahan scheinbar lebend und atmend einem Roman mit dem Titel Brennen muss Salem entstiegen war, hatte nicht ausgereicht, ihn diesen letzten entscheidenden Schritt tun zu lassen. Endgültig dazu gebracht hatte ihn die Entdeckung, dass die Co-Op City nicht in Brooklyn, sondern in der Bronx lag. Zumindest in dieser Welt. Der einzigen Welt, die wichtig war.
»Vielleicht ist er ja gar nicht zu Hause«, sagte Roland, während um sie herum die ganze Welt wartete. »Vielleicht ist dieser Mann, der uns geschaffen hat, nicht zu Hause.«
»Du weißt, dass er das ist.«
Roland nickte. Und in seinen Augen leuchtete das alte Licht, der Widerschein eines Feuers, das nie erloschen war, das seinen Weg entlang dem Balken seit seinem Fortgang aus Gilead erhellt hatte.
»Dann fahr zu!«, rief er heiser aus. »Fahr zu, um deines Vaters willen! Ist er ein Gott – unser Gott –, will ich ihm ins Auge blicken und ihn nach dem Weg zum Turm fragen!«
»Würdest du ihn nicht erst nach dem Weg zu Susannah fragen wollen?«
Sobald Eddie diese Frage gestellt hatte, bereute er sie auch schon wieder und hoffte, dass der Revolvermann nicht darauf antworten würde.
Das tat Roland auch nicht. Er machte lediglich eine kreisende Bewegung mit den verbliebenen Fingern seiner rechten Hand: Los, los.
Eddie stellte den Hebel wieder auf D und bog dann auf die unbefestigte Straße ab. Er fuhr sie in eine gewaltige singende Kraft hinein, die wie ein Sturmwind durch sie hindurchzugehen und in etwas zu verwandeln schien, das so substanzlos wie ein Gedanke oder ein Traum im Kopf irgendeines schlafenden Gottes war.
3
Nach einer Viertelmeile gabelte die Straße sich. Eddie nahm die linke Abzweigung, obwohl auf dem dorthin zeigenden Wegweiser nicht etwa KING, sondern ROWDEN stand. Der von ihrem Wagen aufgewirbelte Staub hing im Rückspiegel. Der sie umgebende Gesang war ein sanftes Getöse, das ihn wie ein flüssiges Arzneimittel durchdrang. Die Nackenhaare sträubten sich ihm noch immer, und seine Muskeln zitterten. Hätte er jetzt den Revolver ziehen müssen, wäre das verdammte Ding ihm wahrscheinlich aus der Hand gefallen, das wusste er. Selbst wenn er es geschafft hätte, ihn in der Hand zu behalten, hätte er unmöglich zielen können. Er begriff nicht, wie der Mann, zu dem sie wollten, inmitten dieses Gesangs leben und essen oder schlafen oder gar Storys schreiben konnte. Aber natürlich war King diesem Geräusch nicht nur nahe; lag Eddie richtig, war King der Quell dieses Geräuschs.
Aber was
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