Der Dunkle Turm 6 - Susannah
zubekam – aber konnte man es ihm verdenken? Hier auf der Straße vor diesem Kleinstadtladen, in dem er nach einem langen, heißen Arbeitstag in den Wäldern bestimmt schon oft eine Flasche Bier oder Ale getrunken hatte, lagen ein halbes Dutzend blutender Toter herum wie im Kampf gefallene Söldner. Und, dessen war sich Roland bewusst, genau das waren sie auch.
Die Vorderbremsen des Langholzwagens kreischten. Von hinten kam das Zischen der Druckluftbremsen, die wie ein zorniger Drache fauchten. Gleichzeitig war das Quietschen riesiger Reifen zu hören, die erst blockierten und dann rauchende schwarze Gummispuren auf dem Asphalt der Straße hinterließen. Die gewaltige Ladung rutschte zur Seite weg. Roland sah Holzsplitter in den blauen Himmel fliegen, weil die Banditen auf der anderen Straßenseite blindlings weiterschossen und dabei die Baumstämme trafen. Die ganze Szene hatte fast etwas Hypnotisches an sich, als beobachtete man, wie eine der Verlorenen Bestien von Eld mit brennenden Schwingen vom Himmel stürzte.
Die pferdelose Frontpartie des Langholzwagens überrollte die ersten Leichen. Eingeweide flogen als rote Stränge durch die Luft und klatschten in den Sand des Straßenbanketts. Ein Rad zerquetschte Trick Postinos Kopf, wobei das Geräusch seines implodierenden Schädels an eine im Feuer zerplatzende Kastanie erinnerte. Die Baumladung rutschte immer weiter zur Seite und drohte zu kippen. Räder, die Roland bis hoch zur Schulter gereicht hätten, gruben sich ein und warfen Wolken aus blutigem Staub auf. Der Langholzwagen schlitterte majestätisch langsam an dem Laden vorbei. Der Fahrer war nicht mehr hinter dem Lenkrad zu sehen. Für einige Augenblicke waren der Laden und die Menschen darin vor der überlegenen Feuerkraft von der anderen Straßenseite sicher. Der Ladeninhaber – Chip – und sein überlebt habender Kunde – Mr. Flanellhemd – starrten den schlingernden Langholzwagen mit identischem Gesichtsausdruck an, aus dem hilflose Verwunderung sprach. Der Ladeninhaber wischte sich geistesabwesend Blut von der Schläfe und schlenzte es dann wie Wasser auf den Fußboden. Er war schwerer verletzt als Eddie, vermutete Roland, schien aber nichts davon zu merken. Vielleicht war das auch gut so.
»Nach hinten raus«, sagte der Revolvermann zu Eddie. »Sofort.«
»Guter Entschluss.«
Roland packte den Mann im Flanellhemd am Arm. Der ältliche Gent sah sofort nicht mehr den Langholzwagen, sondern den Revolvermann an. Roland nickte nach hinten, und der andere nickte ebenfalls. Seine rasche Auffassungsgabe, die ohne Fragen auskam, war ein unerwartetes Geschenk.
Draußen stürzte der Langholzwagen vollends um, zerquetschte dabei einen der geparkten Wagen (und die dahinter versteckten Verwüster, wie Roland sehnlichst hoffte), verlor erst einige der oberen Baumstämme und kippte schließlich alle ab. Dabei war ein grausiges, endlos langes metallisches Kreischen zu hören, im Vergleich zu dem die Schussknalle richtig kümmerlich wirkten.
2
Eddie packte den Arm des Ladenbesitzers, wie Roland zuvor den anderen Mann gepackt hatte, aber Chip ließ nichts von der Geistesgegenwart oder dem Überlebensinstinkt seines Kunden erkennen. Er starrte einfach nur weiter durch das klaffende Loch, das einmal sein Schaufenster gewesen war, und hatte vor Schock und Entsetzen die Augen weit aufgerissen, als der Langholzwagen dort draußen in die Schlussphase seines selbstzerstörerischen Balletts eintrat, bei dem das Fahrerhaus sich von dem umgekippten Gefährt losriss und weiter den Hügel hinunterholperte, bis es von der Straße in den Wald schoss. Die Ladung selbst rutschte die rechte Straßenseite entlang, schob eine riesige Bugwelle aus Erdreich vor sich her und hinterließ eine tiefe Furche, einen platt gewalzten Chevrolet und zwei zerquetschte Verwüster.
Aber wo sie hergekommen waren, musste es noch viele weitere geben. Dieser Eindruck entstand jedenfalls, weil das Geballere unvermindert anhielt.
»Los, Chip, wir müssen abhauen«, sagte Eddie, und als er den Ladenbesitzer diesmal am Arm in Richtung Hinterausgang zog, ließ Chip ihn gewähren, wobei er sich mehrmals über die Schulter umsah und sich weiterhin Blut vom Gesicht wischte.
Im rückwärtigen Teil des Ladens befand sich zur Linken ein angebauter Imbissraum mit einer Theke, ein paar Hockern mit geflickten Polstern, drei oder vier Tischen und einer alten Hummerreuse, die über einem Zeitschriftenständer hing, der hauptsächlich antiquierte
Weitere Kostenlose Bücher