Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
gleichen würde. Die in Donnerschlag Lebenden würden ihr Leben lang an kleinen Unpässlichkeiten wie Pickeln und Ekzemen und Kopfschmerzen und Triefaugen leiden und zuletzt (in den meisten Fällen ziemlich früh) an einer schlimmen, schmerzhaften Krankheit sterben – meistens an Krebs, der den Körper rasch auszehrte und die Nerven wie Buschfeuer abbrannte. Hier fand sich genau das Gegenteil: Gesundheit und Harmonie, Freundschaft und Freigebigkeit. Diese Folken hörten die Rose eigentlich nicht in Wirklichkeit singen, aber das war auch nicht nötig. Sie waren die Glücklichen, und das wussten sie auf irgendeiner Ebene auch … was das größte Glück war. Er beobachtete, wie sie hereinkamen und zu den Hebekästen gingen, die sie »Lifte« nannten, wie sie ihre Aktentaschen und Aktenkoffer, ihre Geräte und ihre Gunna schwangen, wobei sich nicht ein Einziger auf dem kürzesten Weg zwischen Eingang und Aufzug bewegte. Einige wenige kamen vorbei, um sich den Garten des Balkens, wie die Frau ihn genannt hatte, aus der Nähe anzusehen, aber selbst die anderen, die das nicht taten, beschrieben einen kleinen Bogen in seine Richtung, so als würden sie im Vorbeigehen von ihm wie von einem starken Magneten angezogen. Und wenn jemand versucht hätte, der Rose Schaden zuzufügen? Bei den Aufzügen sah Roland auf einem Hocker zwar einen Wachmann sitzen, aber der war dick und alt. Was allerdings keine Rolle spielte. Hätte jemand sich ihr in bedrohlicher Absicht genähert, hätten alle in der Eingangshalle Anwesenden im Kopf ein schrilles Alarmsignal gehört – durchdringend und gebieterisch wie eine Ultraschallpfeife, die nur von Hunden wahrgenommen werden konnte. Und sie hätten sich auf jeden gestürzt, der den Eindruck erweckt hätte, der Rose schaden zu wollen. Das hätten sie blitzschnell und ohne Rücksicht auf die eigene Unversehrtheit getan. Die Rose hatte es bereits verstanden, sich selbst zu schützen (oder wenigstens Leute anzulocken, die sie schützen konnten), als sie noch zwischen Müll und Unkraut auf dem unbebauten Grundstück gestanden hatte, und daran hatte sich nichts geändert.
»Mr. Deschain? Sollen wir jetzt hinauffahren?«
»Aye«, sagte er. »Geht Ihr voraus, wenn’s recht ist.«
7
Was ihm am Gesicht der jungen Frau vertraut erschien, wurde ihm schließlich klar, als sie eben den »Lift« erreichten. Wahrscheinlich lag es daran, dass er sie nun im Profil sah, was die Ähnlichkeit des Gesichtsschnitts noch mehr betonte. Er erinnerte sich daran, wie Eddie ihm von dem Gespräch berichtet hatte, das er mit Calvin Tower geführt hatte, nachdem Jack Andolini und George Biondi das Manhattaner Restaurant für geistige Nahrung fluchtartig verlassen hatten. Tower hatte von der Familie seines ältesten Freundes gesprochen. Sie brüsten sich gern damit, den originellsten Anwaltsbriefkopf in ganz New York, vielleicht sogar in ganz Amerika zu haben. Auf dem steht einfach nur »DEEPNEAU«.
»Ihr seid Sai Aaron Deepneaus Tochter?«, fragte er sie. »Nein, wahrscheinlich nicht, dazu seid Ihr zu jung. Seine Enkelin?«
Ihr Lächeln verblasste. »Aaron hatte keine Kinder, Mr. Deschain. Ich bin lediglich die Enkelin seines jüngsten Bruders, aber meine Eltern sind früh gestorben. So bin ich eigentlich bei Airy aufgewachsen.«
»So habt Ihr ihn genannt? Airy?« Roland war bezaubert.
»Diesen Kosenamen habe ich ihm als Kind gegeben, und er hat sich irgendwie gehalten.« Sie streckte ihm die Hand hin, lächelte nun auch wieder. »Nancy Deepneau. Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Ich bin ein bisschen ängstlich, aber dennoch sehr erfreut.«
Roland schüttelte ihr die Hand, aber das war nur eine Geste, kaum mehr als eine flüchtige Berührung. Mit weit mehr Gefühl (war das doch das Ritual, mit dem er aufgewachsen war, das er verstand) legte er dann die Faust an die Stirn und verbeugte sich. »Lange Tage und angenehme Nächte, Nancy Deepneau.«
Ihr Lächeln wurde zu einem fröhlichen Grinsen. »Und mögen Sie Euch doppelt vergönnt sein, Roland von Gilead! Mögen sie Euch doppelt vergönnt sein!«
Der »Lift« kam. Sie stiegen ein und fuhren anschließend in den neunundneunzigsten Stock hinauf.
8
Als die Kabinentür zur Seite glitt, lag vor ihnen ein großes rundes Foyer. Das dunkle Pink des Teppichbodens entsprach genau dem Farbton der Rose. Geradeaus vor ihnen befand sich eine Glastür, auf der in Goldbuchstaben TET CORPORATION stand. Dahinter sah Roland einen kleineren
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