Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Schlosstor diesseits des Wassergrabens. Es stand offen. Dahinter überspannte eine gewölbte Steinbrücke den Fluss. Unter ihr rauschte dunkles Wasser durch eine zehn, zwölf Meter breite Steinrinne. Das Wasser roch unangenehm streng, und dort, wo einige scharfkantige schwarze Felsen es zerteilten, war der Schaum gelb, nicht weiß.
»Was machen wir jetzt?«, fragte sie.
»Als Erstes hören wir diesen Burschen zu«, antwortete Roland und nickte zum Haupteingang jenseits des gepflasterten Vorhofs hinüber. Aus dem offen stehenden Portal traten jetzt zwei Männer – völlig normale Gestalten, keine Zerrbilder aus dem Spiegelkabinett, wie Susannah eigentlich erwartet hatte. Als sie den Vorhof schon halb überquert hatten, kam ein dritter Mann herausgeschlüpft und hastete hinter ihnen her. Keiner von ihnen schien bewaffnet zu sein, und als die beiden vorderen Männer die Brücke erreichten, war Susannah auch nicht besonders überrascht, dass sie sich als eineiige Zwillinge erwiesen. Und der Mann hinter ihnen sah ebenso aus: ein Weißer, ziemlich groß, langes schwarzes Haar. Also Drillinge: zwei als Empfangskomitee, der dritte als Draufgabe. Sie trugen Jeans und schwere Kolanis, die sie ihnen sofort (und schmerzlich) neidete. Die beiden vorderen Männer hatten große Weidenkörbe mit Ledergriffen dabei.
»Mit Bärten und Brillen würden sie genauso aussehen wie Stephen King, als Eddie und ich ihn damals besucht haben«, sagte Roland halblaut.
»Wirklich? Im Ernst?«
»Ja. Weißt du noch, was ich gesagt habe?«
»Ich soll dich reden lassen.«
»Und dass vor dem Sieg die Versuchung kommt. Denk auch daran.«
»Das tue ich. Roland, hast du Angst vor ihnen?«
»Ich glaube, dass wir von diesen dreien nicht viel zu befürchten haben. Aber halte dich trotzdem schussbereit.«
»Sie sehen nicht bewaffnet aus.« Andererseits konnte in diesen Weidenkörben natürlich alles Mögliche verborgen sein.
»Halt dich trotzdem bereit.«
»Verlass dich drauf!«, sagte sie.
3
Trotz des Brausens des Flusses unter der Brücke konnten sie das gleichmäßige Tock-tock der Stiefelabsätze des Trios hören. Die beiden mit den Körben hielten auf dem höchsten Punkt der Brücke an. Dort stellten sie ihre Traglasten nebeneinander ab. Der dritte Mann blieb jenseits der Brücke stehen und faltete schicklich die Hände vor dem Körper. Susannah konnte nun riechen, dass einer der Körbe zweifellos gebratenes Fleisch enthielt. Aber kein Langschwein. Roastbeef und Huhn, alles durcheinander, das roch sie … himmlische Düfte! Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.
»Heil, Roland von Gilead!«, sagte der schwarzhaarige Mann zur Rechten. »Heil, Susannah von New York! Heil, Oy von Mittwelt! Lange Tage und angenehme Nächte!«
»Einer ist hässlicher als der andere«, bemerkte sein Begleiter.
»Hört nicht auf ihn«, sagte der rechte Stephen-King-Doppelgänger. »›Hört nicht auf ihn‹«, äffte der andere ihn nach, indem er das Gesicht zu einer derart hässlichen Grimasse verzog, dass sie schon wieder komisch wirkte.
»Mögen sie euch doppelt vergönnt sein«, sagte Roland zu dem höflicheren der beiden. Er streckte das rechte Bein vor und vollführte eine flüchtige Verbeugung. Susannah deutete, wie in der Calla üblich, einen Knicks an, wobei sie imaginäre Röcke spreitete. Oy, der neben Rolands linkem Fuß saß, glotzte das Zwillingspaar auf der Brücke einfach nur an.
»Wir sind Uffis«, sagte der rechte Mann. »Kennt Ihr Uffis, Roland?«
»Ja«, sagte Roland und fügte dann an Susannah gewandt hinzu: »Das ist ein altes Wort … sogar ein uraltes. Er behauptet, sie seien Gestaltwandler.« Dann sagte er mit viel leiserer Stimme, die gewiss nicht über das Brausen des Flusses hinweg zu hören war: »Ich glaube aber nicht, dass das stimmt.«
»Doch, es stimmt«, sagte der rechte Mann durchaus freundlich.
»Lügner sehen überall ihresgleichen«, bemerkte der linke Mann und rollte spöttisch ein Auge. Nur eines. Susannah konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal gesehen zu haben, dass jemand nur mit einem Auge rollte.
Der dritte Mann sagte weiterhin nichts, sondern stand einfach nur mit gefalteten Händen da und sah zu.
»Wir können jede beliebige Gestalt annehmen«, fuhr der rechte Mann fort, »aber wir haben Anweisung, jemand zu sein, den Ihr kennt und dem Ihr vertraut.«
»Ich würde Sai King nicht sehr viel weiter trauen, als ich seinen schwersten Großvater werfen könnte«, stellte Roland fest. »Lästig
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