Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
auf die Nigger fallen zu lassen.
Werden deine Hummerwesen bald herauskommen?«
»Nein«, sagte Eddie. »Erst bei Dämmerung. Du hast also die Vorstellung, dies ist einer deiner Koma-Träume, wie du sie gehabt hast, als dich der Backstein auf den Kopf getroffen hatte. Aber du meinst, diesmal war es eine Keule oder so etwas.«
»Ja.«
»Und die andere Möglichkeit?«
Odettas Gesicht und Stimme waren ruhig, aber in ihrem Kopf drängte sich ein häßlicher Reigen von Bildern, die alle auf Oxford Town, Oxford Town hinausliefen. Wie ging das Lied? Two men killed by the light of the moon / Somebody better investigate soon. Es stimmte nicht ganz, aber fast. Fast.
»Ich habe den Verstand verloren«, sagte sie.
7
Die ersten Worte, die Eddie einfielen, waren: Wenn du denkst, du hast den Verstand verloren, Odetta, dann bist du verrückt.
Aber nach kurzer Überlegung kam er zu dem Ergebnis, daß dies keine lohnende Wendung für das Gespräch bringen würde.
Statt dessen blieb er eine Weile stumm, saß mit angezogenen Knien neben ihrem Rollstuhl und umklammerte mit den Händen seine Handgelenke.
»Warst du wirklich heroinsüchtig?«
»Ich bin es«, sagte er. »Das ist, als wäre man Alkoholiker oder Kokser. Man kommt nie ganz darüber hinweg. Ich habe das immer gehört und gedacht: ›Ja, ja, schon gut‹, weißt du, aber inzwischen verstehe ich es. Ich will den Stoff immer noch, und ich glaube, ein Teil von mir wird ihn immer wollen, aber der körperliche Teil ist überstanden.«
»Was ist ein Kokser?« fragte sie.
»Jemand, der in deiner Zeit noch nicht erfunden war. Koksen macht man mit Kokain, aber es ist, als würde man TNT in eine A-Bombe verwandeln.«
»Hast du es gemacht?«
»Himmel, nein. Mein Trip war Heroin. Habe ich doch gesagt.«
»Du siehst gar nicht wie ein Süchtiger aus«, sagte sie.
Tatsächlich war Eddie ziemlich pingelig… das heißt, wenn man den Geruch, der von seinem Körper und seiner Kleidung ausging, ignorierte (er konnte sich und seine Kleidung säubern und tat das auch, aber da er keine Seife hatte, konnte er sich nicht richtig waschen). Sein Haar war kurz gewesen, als Roland in sein Leben getreten war (damit du besser durch den Zoll kommst, mein Lieber, und als was für ein großartiger Witz sich das doch erwiesen hatte), und es hatte immer noch eine respektable Länge. Er rasierte sich jeden Morgen mit der scharfen Klinge von Rolands Messer, anfangs behutsam, aber dann mit zunehmendem Selbstvertrauen. Als Henry nach ‘Nam ging, war er so jung gewesen, daß Rasieren noch nicht zu seinem Leben gehört hatte, und Henry hatte es damals auch nicht so wichtig genommen; er hatte sich nie einen Bart wachsen lassen, aber manchmal dauerte es drei oder vier Tage, bis Mutter ihn gedrängt hatte, ›die Stoppeln zu mähen‹.
Aber als er zurückkam, war Henry diesbezüglich besessen gewesen (und bezüglich einiger anderer Gepflogenheiten auch, zum Beispiel Fußpuder nach dem Duschen; drei- bis viermal täglich Zähneputzen, gefolgt von einer Munddusche; immer die Kleidung aufhängen), und er hatte Eddie ebenfalls zum Fanatiker gemacht. Die Stoppeln wurden jeden Morgen und jeden Abend gemäht. Jetzt war ihm diese Gewohnheit so in Fleisch und Blut übergegangen wie viele andere, die ihm Henry beigebracht hatte. Einschließlich der, für die man eine Nadel brauchte.
»Zu glatt rasiert?« fragte er sie grinsend.
»Zu weiß«, sagte sie knapp und schaute dann einen Augenblick stumm und ernst aufs Meer hinaus. Eddie war auch still. Wenn es auf so etwas eine Antwort gab, so wußte er sie nicht.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Das war sehr unfreundlich, sehr unfair und sieht mir gar nicht ähnlich.«
»Schon gut.«
»Ist es nicht. Es ist, als würde eine weiße Person zu jemand mit sehr heller Haut sagen: ›Herrje, hätte mir nie träumen lassen, daß du ein Nigger bist.‹«
»Du hältst dich sonst für weniger voreingenommen«, sagte Eddie.
»Wofür wir uns halten und wie wir wirklich sind, das hat selten viel miteinander gemeinsam, glaube ich, aber, ja – ich halte mich für unvoreingenommener. Daher solltest du meine Entschuldigung bitte annehmen, Eddie.«
»Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?« Sie lächelte wieder ein wenig. Das war gut. Es gefiel ihm, wenn er sie zum Lächeln bringen konnte.
»Gib dem hier eine faire Chance. Das ist die Bedingung.«
»Gib was eine faire Chance?« Sie hörte sich etwas belustigt an.
Bei jedem anderen wäre Eddie angesichts dieses
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