Der Durst nach Blut
Verstellung. Kein Versuch, sie in Sicherheit zu wiegen.
Dieses immer noch in seiner Metamorphose gefangene Unwesen war wehrlos. Ihr ausgeliefert! Von dem Moment an, da Lilith aus ihm getrunken hatte .!
Die einzige Erklärung, die Lilith dafür fand, war, daß sie immer noch einen Keim übertrug. Einen Keim, der ihre Feinde unterwarf, der sie wie nach einem giftigen Spinnenbiß lähmte, so daß sie wehrlos zusehen mußte, wie der Stoff ihres Lebens aus ihnen schwand. Wie ihnen gestohlen wurde, was sie anderen stahlen .
Eine perfide Ironie steckte dahinter. Eine erschreckende Konsequenz, die sich nur erdacht haben konnte, wer auch alle anderen komplexen Abläufe in der Natur ersonnen hatte .
»Kannst du mich hören?« fragte Lilith.
Sie ging vor dem Vampir in die Hocke. Und sie war überrascht, als er tatsächlich antwortete.
»Ich höre.«
»Wie ist dein Name?« fragte sie.
»Hyakin.«
»Du bist mit Heraks Blut getauft?«
»Nein. Mit Horas.«
Lilith nickte. Richtig; aus Heraks Blut war nie ein einziges Mitglied der Sippe hervorgegangen. Wie auch, denn fast drei Jahrhunderte war der Lilienkelch verschollen, und wer immer dieser Sippe angehörte, ging auf Hora zurück, den wahren Stammvater.
Lilith wurde sich bewußt, daß die Ruhe, die sie an den Tag legte, eigentlich an Überheblichkeit grenzte. Normalerweise hätte sie nach dem Töten der beiden Vampire darauf bedacht sein müssen, den Ort ihres Sterbens schnellstmöglich zu verlassen. Todesimpulse mußten längst jeden Vampir in der Stadt darüber aufgeklärt haben, daß in Salem Enterprises etwas Besorgniserregendes vonstatten ging .
Aber die erwartete Unruhe wollte sich nicht einstellen.
Sie sah Hyakin und in ihm den Beweis, daß nichts wie früher war. Nicht nur sie selbst, auch ihre Umgebung hatte sich verändert.
Auch ihre Feinde?
Lilith verstand immer noch nicht im nötigen Umfang, was sich hinter Gottes Äußerungen verbarg. Wen er als Gesandten des Todes bezeichnet und welches verloren geglaubte Zeichen er ihr zurückgegeben hatte .
»Steh auf, Hyakin!«
Er tat es. Wie ein von düsterem Zauber bewegter Toter, dessen Hülle ihr gehorchte, gehorchen mußte, seit sie ihren Keim hineingesät hatte .
Nun wollte sie sehen, ob sich auch sein Geist unterwarf.
»Erzähle mir, was hier geschah, Hyakin! Erzähle mir alles, was Herak und euch widerfuhr! Was wurde aus den Wissenschaftlern, die hier für euch forschten? Was aus all den Geschöpfen, die hier gezüchtet wurden? Diese Zerstörungen . wer ist dafür verantwortlich?«
Noch während sie redete, begriff sie, daß sie viel zu viele Fragen auf einmal gestellt hatte. Wäre Hyakin ein hypnotisierter Mensch gewesen, hätte sein Verstand daran scheitern müssen. Aber offenbar unterschied sich dieser Zustand von Hypnose so sehr wie ein Vampir vom Menschen.
Hyakins Lippen schienen zu vibrieren, als gäbe es einen Widerstand, den sie durchbrechen mußten. Dann sagte er rauh: »Ich war es! Wir . Nach Heraks Tod vor zwei Wochen sind die meisten von hier geflohen . Niemand sah mehr einen Sinn in der Fortführung der Experimente, deren Triebfeder unser Oberhaupt war ... Nur Hangai, Hoboe und ich hielten aus - obwohl auch wir uns hier unseres Lebens nicht mehr sicher fühlten.«
»Warum nicht?«
»Wegen der Krankheit, die um sich griff.«
»Krankheit? Seit wann sind Vampire empfänglich für - Krankheiten?«
Hyakin zitterte nun am ganzen Körper. Lilith hatte das Gefühl, daß sich nicht nur alle Farbe aus dem Gesicht, sondern auch das Licht in den Augen des Vampirs verabschiedete. Die Pupillen schwärzten sich wie Holzkohle.
»Nach dem, was Herak und den Goldenbergs widerfuhr«, sagte Hyakin gepreßt, »waren wir uns nicht mehr so sicher.«
»Den Goldenbergs?«
»Ein Wissenschaftler, der sich mit dem Fragment beschäftigte -und dessen Tochter. Sie starben mit Herak. Offenbar hatte Goldenberg den Symbionten zuvor mit Viren geimpft. Es kam zum Kampf. Der Behälter mit dem Fragment zerbarst, und das Ungeheuer infizierte erst die Goldenbergs, dann Herak. Anschließend quoll es über unser Oberhaupt und ...«
»Und?«
»Erstarrte. Formte sich zu dem, was du hier siehst!«
Lilith spürte, wie ihr Gaumen austrocknete. Es lag nicht nur an Hyakins Schilderung, sondern auch an seinem Duft, der sie drängte, erneut von ihm zu kosten. »Was geschah mit den Infizierten?« fragte sie.
»Sie starben, wie ich noch keinen Menschen enden sah. Das Fleisch faulte ihnen binnen Sekunden vom Leib. Die Knochen
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