Der Eden Effekt
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, dazu hinreißen lassen zu schreien: ›Ich bin Anika French und wurde in Washington entführt!‹«, fuhr Stephanie fort. »Aber Sie werden nichts dergleichen tun.«
Anika biss die Zähne zusammen.
»Ich erkläre Ihnen auch, warum nicht«, sagte Stephanie freundlich. »Das langsam wirkende Gift, das Sie mit dem Mangosaft zu sich genommen haben, sorgt dafür, dass Sie sich achtundvierzig Stunden später in eine Psychotikerin verwandeln.«
Entsetzt riss Anika die Augen auf. Stephanie blieb unbeeindruckt. »Sobald wir in Oberau ankommen, bekommen Sie von uns das Gegengift. Es verbindet sich mit den toxischen Molekülen und macht diese unschädlich.«
Anika schüttelte langsam den Kopf und wartete auf irgendeine körperliche Reaktion, doch sie fühlte nichts. Gar nichts.
»Wir sichern uns gerne ab.« Stephanie lächelte. »Und wir sind bereit, Ihnen Zeit einzuräumen, damit Sie entscheiden können, ob Sie mit oder gegen uns arbeiten wollen. Wenn Sie allerdings irgendetwas tun, um uns zu kompromittieren ... Was für uns nur eine unangenehme Situation wäre, hätte für Sie fatale Konsequenzen. Die Folgen sind nicht mehr rückgängig zu machen. Außerdem können wir beweisen, dass Sie uns kontaktiert und gebeten haben, Sie aus den Händen der Amerikaner zu befreien, weil Sie glaubten, diese würden Sie umbringen. Da Sie bis dahin buchstäblich verrückt geworden sind, wird man nicht Ihnen glauben, sondern uns.«
Das Flugzeug kam zum Stillstand, und das Geräusch der Triebwerke verstummte.
Simon Gunter schnallte sich ab, hob ein Handy ans Ohr und telefonierte leise auf Deutsch. Die Flugbegleiterin öffnete die Tür des Flugzeugs.
Ob das alles stimmt? Anika konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
»Das Gift war meine Idee«, fuhr Stephanie fort. »Ursprünglich hatten wir vor, Sie in einem Sarg nach Deutschland zu bringen. Oder auch auf einer Krankentrage, die dann von einem Krankenwagen abgeholt worden wäre. Andererseits können wir durch meine Methode feststellen, ob Sie wirklich so scharfsinnig sind, wie ich glaube. Wenn Sie sich entscheiden, mit uns zu arbeiten, biete ich Ihnen eine Gelegenheit, sich zu bewähren.«
Anika schluckte. Stephanie stand auf und fragte: »Sagen Sie, Anika, was bedeutet Ihnen mehr? Ihr scharfer Verstand oder die Möglichkeit, sich an uns zu rächen?«
Mein Gott, sie macht ihren Job wirklich gut. Anika stand auf und spürte dort, wo ihr Herz sein sollte, nur ein großes Loch. »Und wie wollen Sie beweisen, dass ich Sie gebeten habe, mich zu entführen?«
»Gefälschte Telefonaufzeichnungen mit Ihrer Stimme. Wir haben unsere Aufzeichnungen mit Synthesizern verändert. Für die deutsche Polizei reicht das. Den Rest werden Sie selbst erledigen. Sobald die Synapsen nicht mehr funktionieren, bekommen Sie die verrücktesten Wahnvorstellungen.«
Anika legte eine Hand auf ihren Bauch. Ihr war speiübel.
Stephanie schaute auf die Uhr. »Ihnen bleiben noch sechs Stunden, ehe die Moleküle an Ihren Nervenzellen andocken. Zeit genug.«
Mit wackeligen Knien ging Anika auf die Tür des Flugzeugs zu und stieg die Gangway hinunter in den Regen.
Verdammt! Verdammter Mist!
Sie dachte über die Variablen nach und führte sich alles vor Augen, was sie über die Spieltheorie wusste. Jeder versuchte den anderen in die Knie zu zwingen.
Wenn ECSITE Menschen so gut manipulieren konnte, stellte sich die Frage, was sie noch geplant hatten, um sie gefügig zu machen. Zum ersten Mal im Leben hatte Anika richtige Angst.
Die erste Kiste wurde am frühen Morgen geliefert. Auf der bruchsicheren schwarzen Kunststoffkiste prangte in großen Blockbuchstaben die Aufschrift: AUSPUFFSYSTEME FÜR MOTORRÄDER.
Das Haus, das Skip ausgewählt hatte, lag an einem Hang oberhalb von Oberau. Früher hatte sich dort eine kleine Fabrik befunden, in der Skihandschuhe hergestellt wurden. Auf dem Betonboden der Werkstatt waren noch die Abdrücke der Maschinen zu sehen.
Eine Tür führte von der Werkstatt ins Büro. Die ehemaligen Besitzer hatten einen brauchbaren Schreibtisch und Stühle zurückgelassen. Es gab eine Herren- und eine Damentoilette und einen geräumigen Wandschrank für Material. Im Boden war eine Falltür mit einem Griff eingelassen.
Wenn man sie öffnete, wurde eine Treppe sichtbar, die in einen kleinen Raum mit Betonwänden führte. Keine schlechte Zugabe für jemanden, der in geheimer Mission operierte. In einer Notlage konnte dieser verborgene Raum zwischen Leben und
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