Der Eden Effekt
werden abgeholt«, sagte einer der Wachmänner. »Kommen Sie. Wir wollen die Gäste begrüßen.«
Anika schürzte die Lippen und fragte sich, ob sie es schaffen könnte, ans Ufer zu rennen und ins Wasser zu springen. Sie war in Wyoming aufgewachsen, fernab von Meer und Strand, und hatte in dem Schwimmbad der Douglas-Highschool schwimmen gelernt. Hier gab es keine sicheren Begrenzungen, sondern nur die endlose Weite des Meeres.
Resigniert drehte sie sich um und stapfte durch den Sand zu der Holztreppe des Hauses. Als einer ihrer Bewacher die Tür öffnete, verstummte das Surren der Rotoren.
Auch von innen war das Haus mit den Teakholzböden, den großen Fenstern mit Blick aufs Meer und den teuren Kunstwerken an den Wänden wunderschön. Es hatte hohe Decken, an denen sich prunkvolle Ventilatoren langsam drehten. Ein geschmackvoller Glastisch mit verchromten Stühlen und mehrere gemütliche Sofas waren die einzigen Möbel.
Hinter dem Haus waren Stimmen zu hören, und kurz darauf betrat eine sportliche Frau mit blondem Haar das Haus. Sie trug eine locker sitzende weiße Bluse, unter der sich ihr voller Busen abzeichnete. Die hautenge Levis betonte ihre langen Beine. Sie musterte Anika mit hübschen blauen Augen und begrüßte sie mit einem warmen, herzlichen Lächeln.
»Dr. French? Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.« Sie reichte ihr die Hand, doch Anika ignorierte sie. »Ich bin Stephanie Huntz. Verzeihen Sie meine Aufmachung. Die letzten Tage waren sehr ereignisreich, und daher hatte ich erst während des Flugs hierher Gelegenheit, ein wenig zu schlafen.«
»Wo zum Teufel bin ich?«
Stephanie warf den beiden Wachmännern einen fragenden Blick zu und lächelte. »Ziemlich unhöflich, nicht wahr? Ich meine, dass sie es Ihnen nicht gesagt haben. Sie sind auf den Bahamas. Wir dachten, Sie hätten vielleicht Lust, sich ein wenig auszuruhen und zu erholen, nachdem Sie so hart für die Amerikaner arbeiten mussten. Ich hoffe, Sie wurden gut behandelt?«
»Wenn man bei einer Entführung von guter Behandlung sprechen kann. Bis jetzt wurde ich jedenfalls weder geschlagen noch vergewaltigt. Ich schätze, darauf kann ich mich noch freuen.«
»Unsinn«, erwiderte Stephanie mit ihrem leichten deutschen Akzent. »Wir wären keine guten Gastgeber, wenn wir zu solch schäbigen Methoden greifen würden. Setzen Sie sich!« Sie zeigte auf den großen Glastisch mit Blick auf den Strand. »Wir müssen ein paar Dinge besprechen. Gunter?« Stephanie drehte sich zu einem schwarzhaarigen, muskulösen Mann um, der in diesem Augenblick durch den Hintereingang das Haus betrat. »Bring uns zwei Gläser von diesem köstlichen Mangosaft! Ich habe während des ganzen Flugs davon geträumt.«
Der Mann ging in die Küche.
Anika wählte einen Stuhl, der weit von Stephanie entfernt stand, und nahm zögernd Platz. Stephanie setzte sich ebenfalls. Sie wirkte entspannt und schaute mit sehnsüchtigem Blick aufs Wasser. »Leider bin ich nicht oft hier. Ich vermisse diesen Frieden. Das Schnorcheln ist herrlich. Ganz in der Nähe ist ein altes Fischerboot gesunken. Dort gibt es wunderschöne Fische.«
»Kommen Sie zur Sache.«
Stephanie schaute sie amüsiert an, worauf sich kleine Grübchen neben ihren Mundwinkeln zeigten. »Vorgestellt habe ich mich ja bereits. Entspannen Sie sich bitte!«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Anika, als der Mann namens Gunter den Mangosaft auf den Tisch stellte und den Raum wieder verließ. »Sie haben Mark nicht mehr. Jetzt haben Sie Probleme mit dem Modell, und darum haben Sie mich entführt.«
Stephanies Miene verdunkelte sich, als würde sie an ein unangenehmes Erlebnis denken. Dann nickte sie. »Sie sind eine clevere Frau. Das erspart mir die schwierige Aufgabe, Sie auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen.« Sie nahm ein Glas und trank einen Schluck. »Köstlich. Frisch gepresst.« Offenbar ärgerte es sie, dass Anika ihr Glas nicht anrührte. »Probieren Sie doch wenigstens – wenn auch nur aus Höflichkeit.«
Anika trank einen Schluck. Sie hatte noch nie frisch gepressten Mangosaft getrunken.
»Einverstanden«, fuhr Stephanie fort. »Wenn Sie darauf bestehen, sofort über unsere Geschäftsbeziehung zu sprechen, sage ich Ihnen, was wir wissen: Die Weltwirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch, und dieser Zusammenbruch ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind einzig und allein an dem Modell interessiert, um uns dadurch zu bereichern. Es hat keinen Sinn, es abzustreiten. Mein Arbeitgeber möchte in
Weitere Kostenlose Bücher