Der Effekt - Roman
und ließen Flaschen mit billigem Tequila oder mexikanischem Bier herumgehen. Sie rauchten Zigaretten und Joints.
»Wir könnten dort links abbiegen«, schlug Fifi vor und deutete in eine Seitenstraße vor der Blockade, die anscheinend noch frei war.
»Nein«, sagte Shah, ohne zu zögern. »Die ist zu eng und führt nirgendwo hin. Außerdem haben sie Schützen auf den Dächern und an den Fenstern postiert. Wir müssen sofort umkehren oder durch.«
»Fahr weiter«, sagte Jules. »Aber langsam. Die sollen sich nicht bedrängt fühlen. Sie wollen wahrscheinlich nur die Touristen ausnehmen. Wir können sie bestimmt überreden, uns in Ruhe zu lassen.«
Sie hob die automatische SPAS-12-Schrotflinte aus der improvisierten Halterung über dem Armaturenbrett des Jeep Cherokee, die Shah dort festgeschraubt hatte, und lud sie durch. Sergeant Shah - sie hatten sich entschieden, ihn fortan so zu nennen - bremste den Wagen ab und prüfte, ob seine Schusswaffen, zwei MP5, bereitlagen.
Thapa und Fifi, die auf dem Rücksitz saßen, machten sich ebenfalls bereit.
Sie waren fast bis an den Rand der exklusiven Touristenenklave Acapulco Diamante vorgedrungen, aber die Straßensperre stoppte sie einige Hundert Meter vor dem Bezirk, in dem sich die meisten teuren Hotels und Klubs befanden. Jules hatte damit gerechnet, dass es irgendwann Ärger geben würde. Deshalb hatten sie ihren Jeep mit ausreichend Schusswaffen ausgestattet. Bis jetzt hatte es genügt, die Gewehrläufe lässig aus dem Wagenfenster zu schieben, um sich freie Fahrt durch die Stadt zu verschaffen, in der sie bisher nur wenig Gewalt und Chaos beobachtet hatten.
»Sergeant Shah, wenn es Ihnen recht ist, würden Fifi und ich gern die Verhandlungen führen. Es würde allerdings helfen, wenn Sie deutlich machen, dass wir jederzeit imstande sind, jeden zu töten, der sich gegen uns stellt.«
»Wie Sie wünschen, Miss Julianne.«
Shah stoppte den Wagen etwa fünfundzwanzig Meter vor der Straßensperre. Die meisten Blockierer trugen alte Revolver oder Pistolen, mit denen man ein Ziel bestenfalls aus zehn Metern Entfernung treffen konnte. Die meisten schienen betrunken oder stoned zu sein, und damit waren sie kaum in der Lage, ein Ziel wirklich exakt zu fixieren. Immerhin verfügten sie über nicht wenige Waffen und durften deshalb nicht unterschätzt werden.
Jules setzte die Sonnenbrille wieder auf, die sie sich über die Stirn geschoben hatte, und stieg aus dem Jeep. Gleichzeitig setzte sie ihr Headset auf. Fifi folgte ihr. Sofort erregten sie die Aufmerksamkeit der jungen Männer, die anfingen zu pfeifen. Die Situation war fast schon komisch. Es war ein heißer und greller Sonnentag, und beide Frauen trugen Shorts und Schnürstiefel. Jules trug über ihrem weißen T-Shirt eine kugelsichere Weste, aber Fifi
hatte nichts weiter übergezogen als ein kariertes Hemd, vorn zusammengeknotet, so dass man ihren durchtrainierten, gut gebräunten Oberkörper sehen konnte. Die Möchtegern-Desperados standen nun vor der Frage, welche der beiden »chiquitas« sie sich als Erste vorknöpfen wollten.
Einer der Männer unterschied sich von den anderen. Er glotzte nicht dumm und fummelte sich nicht im Schritt herum. Er musterte die vier bewaffneten Eindringlinge kalt und ruhig.
»Das ist der Obermacker«, flüsterte Jules ins Mikro. »Den nehme ich.«
»Verstanden«, antwortete Fifi, während sie gleichzeitig ihr heiß geliebtes russisches Maschinengewehr von Thapa entgegennahm. Jules kam es so vor, als würde sich die Temperatur der Umgebung um einige Grad senken, aber das lag wohl eher daran, dass sich in ihrem Inneren eine eisige Kälte ausgebreitet hatte.
»Wie sieht’s hinten im Wagen aus?«
»Shah und Thapa können reagieren, wenn es sein muss.«
»Und das ist ihnen auch klar?«
»Jepp.«
»Okay … Guten Morgen, Señor. Das hier ist jetzt wohl Ihr Revier, nehme ich an?«
Jules schenkte dem Anführer der Gang ein strahlendes Lächeln und hielt ihr Gewehr so, dass noch ein bisschen mehr von ihrer Oberweite zu sehen war.
»Wieso glauben Sie, dass ich Englisch spreche, hm?«
»Sie sehen wie ein intelligenter, gebildeter Mann aus. Weit gereist und welterfahren. Deshalb bin ich davon ausgegangen.« Sie schaute ihn gewinnend an.
In Wirklichkeit sah er vor allem nach Ärger aus. Nüchtern, böse und überhaupt nicht an einer Unterhaltung interessiert, wenn er die Richtung des Gesprächs nicht selbst bestimmen konnte.
»Ich bin der Chef hier im Viertel«, erklärte er.
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