Der Effekt - Roman
Straßenrand hatte sich jede Menge Müll gesammelt, hier und da glänzten verschossene Patronenhülsen im Sonnenlicht. Pieraro hielt vor seinem Wagen an, und Jules musste sich zusammenreißen, um nicht aufzulachen. Es war ein Kleinwagen mit nur zwei Türen, ein Servicefahrzeug des Fairmont Hotels. Pieraro bemerkte ihren skeptischen Blick.
»Immerhin ist es neu«, sagte er. »Und umwelt… äh, umweltverträglich.«
»Fährt es mit Sonnencreme oder so was?«, fragte sie grinsend. Sie hatte erwartet, dass er einen Sportwagen fahren würde. Aber dann wäre er ein korrupter Bulle gewesen, oder?
»Es ist nützlich für unsere … Arbeit«, versicherte er.
Sie kontrollierte, ob ihre Waffe gesichert war, bevor sie einstieg. Wenn das Gewehr aus Versehen losging, würde es womöglich das ganze Dach wegblasen.
»Ich heiße übrigens Julianne. Jules, wenn Sie möchten«, sagte sie, als er einstieg und den Sicherheitsgurt anlegte. »Darf ich Sie was fragen?«
»Wenn Sie nicht auf einer Antwort bestehen … falls es Sie nichts angeht. Ich war ein ehrlicher Mensch … nicht so jemand wie Sie, Señorita, verstehen Sie?«
»Ich verstehe«, sagte Jules. »Und mit Ihren Ganoven da verdienen Sie sich auf ehrliche Weise Ihr Geld, hm?«
Er startete den Motor, fuhr aber nicht los.
»Ich habe Familie. Drei Kinder. Ich sorge für sie. Diese Männer da hinten, das sind meine Männer. Auch sie müssen für ihre Familien sorgen. Im Gegensatz zu diesen Leuten da …« Er deutete auf den Diamante-Bezirk. »… haben sie keine Sicherheiten. Unter dem Großen Verschwinden leiden zuallererst die armen Leute.«
Pieraro trat aufs Gas, und sie fuhren davon.
»Was war noch Ihre Frage, Señorita?«
Jules zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich nur gewundert, wie jemand wie Sie an einer Straßensperre landet. Aber Sie haben die Antwort schon gegeben. Drei Kinder. Sie haben hier wohl gerade Urlaub gemacht und die Verwandten besucht?«
Pieraro schnaubte empört. »Mit dem, was ich verdiene, hätte man mir nicht einmal erlaubt, die Straßen in diesem Viertel hier zu fegen. Wir haben die Verwandten meiner Frau besucht, die weiter im Süden wohnen. Und dann sind alle im Norden verschwunden und unser ganzes Hab und Gut ebenfalls. Uns ist nichts geblieben außer unserem Leben.«
Jules warf einen Blick in den Seitenspiegel, um nachzuschauen, ob die anderen ihnen folgten. Der Jeep fuhr nur wenige Meter hinter ihnen. Sie wusste noch immer nicht, wie sie Pieraro einschätzen sollte. Er sah aus wie ein harter Bursche, in seinen Augen konnte sie keine Anzeichen von Angst erkennen, schon gar nicht von dieser primitiven Furcht, die bei vielen Straßenräubern vorhanden war, dass jemand kommen könnte, der härter und cleverer war als sie selbst. Sie merkte, dass er beunruhigt war. So ganz konnte er seine Sorgen nicht verbergen, aber es war keine persönliche Angst. Falls er die Wahrheit über seine Familie sagte, war das Erklärung genug für seinen Zustand. Sie würde ihn vorsichtig behandeln müssen. Wahrscheinlich wäre es viel einfacher gewesen, mit einem Hooligan umzugehen, als mit ihm.
»Ich sollte vielleicht fragen, wie Sie dazu gekommen sind. Normalerweise hat man als Viehtreiber nicht viel mit Straßensperren und bewaffneten Hinterhalten zu tun, nicht mal dann, wenn man für McDonald’s arbeitet.«
Auf seinem sonnengebräunten Cowboygesicht erschien ein Lächeln.
»Der Catering-Manager des Hotels, ein Amerikaner, hat mal für McDonald’s in Houston gearbeitet. Ich habe ihn
vor einigen Jahren bei der Arbeit kennengelernt. Wir haben eine Menge Tequila getrunken, und er hat sich blamiert. Er hat die Raupe mitgegessen, wie ein Schuljunge. Na ja, er war eigentlich noch ein Schuljunge, denke ich. Ich habe mich um ihn gekümmert. Ich wusste, dass er hier arbeitet, und deshalb bin ich gekommen und hab ihn nach einem Job gefragt. Egal was für eine Arbeit.«
»Ich verstehe«, sagte Jules. »Aber im Sicherheitsdienst kennen Sie sich doch gar nicht aus.«
»Aber mit Männern kenne ich mich aus. Ich weiß, wie man mit Vieh umgeht und mit Männern. Haben Sie schon mal auf zwanzig Vaqueros aufgepasst? Ich hatte viel mehr unter meinem Befehl. Das waren harte Burschen. Denen durfte man nicht auf die Füße treten. Die waren viel härter drauf als diese Schlappschwänze, die ich jetzt unter mir habe.«
Pieraro warf einen Blick hinter sich.
»Ich verstehe. Aber darf ich mal spekulieren? Dieser Roberto. Der war mal beim Militär, stimmt’s? Der
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