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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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in diesem Moment sah sie beinahe durchsichtig aus, als wäre jeder Tropfen Blut aus ihrem Gesicht verschwunden. Ihre Hände zitterten, ihre Lippen bebten.

    »Was ist denn, Mommy?«
    Suzie und Emma erschienen in der Tür, weil sie den Schrei gehört hatten. Beide sahen sehr besorgt aus. Kipper schickte sie ins Wohnzimmer zurück und versprach ihnen zur Belohnung eine »Not-Schokolade« aus dem Camping-Vorrat, wenn sie sich ruhig verhielten. Dann ging er zu seiner Frau zurück.
    »Was ist passiert?«, fragte er.
    Sie schaute ihn mit aufgerissenen Augen an.
    »Krieg«, sagte sie. »Der Atomkrieg hat angefangen.«
    Kippers Magen krampfte sich zusammen.
    »Wie meinst du das?«
    »Sie haben es im Radio durchgegeben«, sagte sie, und ihre Stimme versagte beinahe.
    Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück, aber die Kinder saßen schon wieder vor dem Fernseher. Barbara umarmte ihn und klammerte sich an ihm fest. Sie schien noch mehr verängstigt zu sein als beim Auftauchen der Energiewelle.
    »… sechzig Millionen Tote im Nildelta. Israel befindet sich in höchster Alarmbereitschaft, das israelische Kabinett hat sich an einen geheimen Ort zurückgezogen. Im Gaza-Streifen, im Westjordanland und im Süden des Libanon wird erbittert gekämpft, aber die anderen Auseinandersetzungen in der Region sind zum Stillstand gekommen …«
    Der Bericht war kurz und knapp und wurde, dem Tonfall nach zu urteilen, von einem Nachrichtensprecher aus England vorgetragen. Die Beschreibung der Lage der amerikanischen Truppen war sehr dürftig, aber offenbar waren sie von dem Atomschlag unbehelligt geblieben.
    »Was ist, wenn sie hier eine Bombe abwerfen, Kip? Was dann?«
    »Schsch, das wird nicht passieren. Das ist eine regionale Angelegenheit. Es hat nichts mit uns zu tun.«

    »Aber die Chinesen und die Russen …«
    »Barbara, wir haben diese Bomben doch nicht abgeworfen. Wir haben nichts damit zu tun, und wenn wir in Gefahr gerieten, hätten wir immer noch unsere Atom-Waffen auf dem Meer. Die meisten davon sind noch vorhanden, denke ich. Das wird die anderen abschrecken. Niemand wird die Bombe auf uns werfen.«
    Barbara zitterte heftig. Sie warf einen Blick über seine Schulter ins Wohnzimmer, wo Buzz Lightyear gerade große Töne spuckte.
    »Auf in die Ewigkeit. Und weiter!«
    »Du sollst dich heute doch mit Blackstone treffen, stimmt’s?«, fragte sie, beinahe schon anklagend.
    »Ja, das ist richtig«, sagte er zurückhaltend.
    »Dann kannst du ja mal versuchen, ein paar Informationen aus diesem nutzlosen Arschloch herauszuquetschen, zum Beispiel, ob wir auf irgendeiner Abschussliste stehen. Ich will das wissen, Kip, weil wir hier nämlich verschwinden werden, bevor es uns trifft.«
    »Okay«, sagte er und hielt sie fest. »Ich kann’s versuchen. Das hätte ich ihn sowieso gefragt. Aber du musst ruhig bleiben. Du darfst dich vor den Kindern nicht so gehenlassen. Kommt denn heute noch jemand zum Hausunterricht?«
    Barbara schüttelte den Kopf und schaute nicht auf.
    »Ich weiß noch nicht.«
    Kipper löste sich vorsichtig von ihr. »Es wäre gut. Suzie braucht den Unterricht. Der Regen hat aufgehört, und es werden Leute vorbeikommen. Sie werden mit dir reden wollen. Du musst jetzt stark sein, Barbara. Ich werde nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Wenn wir gehen müssen, dann werden wir das auch tun. Aber wenn eine Panik ausbricht, dann wird überhaupt niemand mehr hier rauskommen. Hast du das verstanden?«
    Barbara wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie schluchzte leise auf, aber dann nickte sie zustimmend.

    »Es tut mir leid. Aber jetzt … ist nach alledem auch noch so etwas Schreckliches passiert.«
    »Ich verstehe dich ja, trotzdem musst du stark bleiben. Ich gehe jetzt los. Ich soll nach Fort Lewis und ein paar Leute abholen, die aus Olympia kommen.«
    »Aber du fährst doch nicht dorthin, oder?«, fragte sie verängstigt. »Das ist doch noch viel dichter an der Welle dran.«
    »Nein«, versicherte er, »die bleiben über Nacht in der Stadt. Sie kommen nur, um mit uns die Notstandsmaßnahmen für den Bundesstaat zu koordinieren. Oder was davon übrig ist.«
    Kipper behielt seine bösen Vorahnungen für sich, aber er fragte sich schon jetzt, ob dieses Treffen überhaupt etwas bringen würde. Ein Drittel der Staatsangestellten war verschwunden, und die verbliebenen Beamten standen noch immer unter Schock. Das konnte man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Seattle würde es in dieser Situation auch nicht besser

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