Der Effekt - Roman
Energiewand tun. Einige von denen stehen nämlich kurz vor der Kernschmelze.«
32
Fairmont Hotel, Acapulco
Alles war sehr gutgegangen. Pieraro hatte sich leise mit einem Manager des Fairmont Hotel unterhalten und anschließend gemeinsam mit ihm eine kurze Liste möglicher Passagiere für Julianne angefertigt. Der Manager wollte nicht mitfahren, sondern verlangte nur einen Anteil am Gewinn. Man einigte sich auf die Höhe der Summe. Dann wurden diskret Kontakte angebahnt und ein Treffen in einer der exklusiven Bars des Hotels arrangiert. Es dauerte ungefähr vier Stunden, aber alles funktionierte reibungslos. Bis irgendein Idiot den Fernseher einschaltete.
Sogar Julianne, die normalerweise auch unter den schlimmsten Umständen kaltes Blut bewahrte, wurde von dem Bericht aus dem Nahen Osten umgeworfen. Wenn es etwas Positives an den Vorfällen der letzten Zeit gegeben hatte, dann dass die Medien nicht mehr so obsessiv über diese fluchbeladene Gegend berichtet hatten. Sogar der Krieg im Irak war sekundär im Vergleich zu dem Großen Verschwinden. Aber sechzig oder siebzig Millionen Tote bei einem Atomschlag, das zog alle in seinen Bann.
Sie saßen mit ihren potenziellen Reisegästen um einen Tisch und tranken Cocktails, die inzwischen schon ein Vermögen kosteten, und aßen Macadamianüsse, deren Wert noch nicht ganz in Gold aufgewogen wurde. Die Bar füllte sich gegen Abend hin mit heimatlosen Amerikanern und reichen Bürgern aus Mexico City. Ihr Großvater Lord Rupert war in Singapur gewesen, bevor die Japaner es eroberten,
und Jules fragte sich, ob es damals im Raffles Hotel wohl ähnlich zugegangen war wie hier an diesem netten Außenposten am Rand der Katastrophe. Es war schwer zu sagen, welche Gruppe von Gästen verzweifelter war, die Amerikaner, deren dröhnende Stimmen durch den Raum schallten und die physisch sehr präsent waren, oder die mexikanische Elite, die zwar ruhiger reagierte, aber dennoch schwer getroffen wirkte. Für ihren Zweck kamen nur die Amerikaner infrage. Sie hatte die Nachrichten verfolgt und wusste, dass sie sie in einer ganzen Reihe von Häfen im Pazifik absetzen konnte, von denen aus die Operation Sammlung gestartet worden war. Sie würde vielleicht sogar ihre Treibstoff- und die sonstigen Transportkosten bei den amerikanischen Behörden, beziehungsweise ihren Überresten, in Rechnung stellen können, wenn sie frech sein wollte. Möglicherweise konnte sie ihre Mitreisenden sogar in einem Konsulat oder einer Botschaft unterbringen. Den reichen Mexikanern standen keine staatlichen Institutionen mehr zur Verfügung, die man ausbeuten konnte, und Jules wollte das Risiko nicht eingehen, sie bis nach Sydney zu transportieren, wo dann unter Umständen ein rassistischer Einreiseinspektor ihnen mitteilte, dass sie nicht erwünscht waren. Pieraro und seine Familie würde sie irgendwo anders absetzen, aber das war’s dann auch.
Nun saß sie also an diesem großen Tisch in der kühlsten und dunkelsten Ecke der Bar mit einer kleinen Gruppe superreicher Flüchtlinge und feilschte über die Kosten der Passage, als im Hintergrund plötzlich alle Gespräche verstummten und es im Lokal totenstill wurde. Jemand rief laut: »Nein!«, und Jules fasste instinktiv nach ihrer Tasche, in der eine Pistole lag. Aber dann beruhigte sie sich, denn sie merkte, dass nicht etwa Streit, sondern was anderes in der Luft lag. Eine kleine Gruppe hatte sich unter einem Fernsehschirm versammelt, der in einer Ecke über
der Bar hing. Irgendeine Nachricht hatte sie alarmiert. Sie bekämpfte ein aufsteigendes Panikgefühl, denn ihr erster Gedanke war, dass die tödliche Energiewelle sich ausgedehnt hatte.
Einer der Barkeeper stellte den Ton lauter, als um Ruhe gebeten wurde, und Jules erkannte die Stimme der Moderatorin Mishal Husain von BBC World. Der arme Pete hatte was für sie übriggehabt. Jules lächelte traurig vor sich hin, als sie an ihren ehemaligen Skipper dachte, wie er betrunken von Jamaika-Rum und stoned von Haschisch vor dem Fernseher sitzend erläutert hatte, was er gern mit Husain machen würde, während sie gerade über ein Treffen der EU-Wirtschaftsminister referierte.
Sie vermisste ihn sehr.
»Allein in Teheran«, las Husain vor, »starben schätzungsweise drei Millionen Menschen durch die erste Detonation und den dadurch hervorgerufenen Feuersturm, der sich in einem Umkreis von fünfzig Kilometern vom Zentrum der Explosion ausbreitete. Weit mehr kamen kurz danach aufgrund radioaktiver Verseuchung ums
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