Der Effekt - Roman
möglich war, und erklärte so ruhig wie möglich: »Ich gehe mal nach unten und sehe nach, wie es den anderen geht. Ruft mich, wenn die Lage sich ändert, zum Guten oder zum Schlechten. Ihr habt gute Arbeit geleistet. Wir werden diese Bande bald los sein.«
Lee antwortete nicht, er schaute sie nicht einmal an, so sehr musste er sich darauf konzentrieren, Kurs zu halten. Er stand mit leicht gebeugten Knien da und versuchte, sich dem Auf und Ab des Schiffes anzupassen. Seine Augen schienen nichts Konkretes zu fixieren, ihr Blick verlor sich scheinbar im düsteren Wüten des Sturms. Rhino sah dagegen sehr zufrieden aus. Die anderen Männer auf der Bücke, Dietmar, der deutsche Navigator, und Lars, der norwegische Rucksacktourist, der jetzt der Erste Maat der Aussie Rules war, grinsten vor sich hin wie Hunde, denen man den Kopf getätschelt hat. Sie waren die
jüngsten Crewmitglieder, und obwohl bereits mehrmals auf sie geschossen worden war, schienen sie das Abenteuer als großen Spaß anzusehen, von dem sie ihren Mädels stolz erzählen würden, wenn sie sie in der nächsten Jugendherberge trafen. Niemand außer Lee und Jules schien sich Sorgen zu machen. Sie fragte sich, wie sie wohl reagieren würden, wenn es richtig zur Sache ging, wenn ihre peruanischen Verfolger sie doch noch einholen sollten und es zu einem blutigen Gefecht auf Leben und Tod kam. Die Aussie Rules war zwar einige Knoten schneller als ihre Verfolger, aber die ließen sich nicht so leicht abschütteln wie erhofft.
Sie schob sich aus der Ecke, in die sie gedrückt worden war, und versuchte von der Brücke zum Niedergang zu gelangen, indem sie sich an die Bewegungen des Schiffes anpasste. Die Wellen türmten sich zehn Meter hoch, der Wind hatte eine Geschwindigkeit von 200 Stundenkilometern erreicht, und beides bewirkte, dass sie nur sehr langsam vorankam. Die Treppen hinabzusteigen war eine lebensgefährliche Angelegenheit. Das relativ konventionelle Treppenhaus der Riesenjacht zu bewältigen war wesentlich anstrengender, als sich bei Sturm in der engen kleinen Jacht von Pete zu bewegen. Hier war genug Platz, um durch ein plötzliches Rucken des Schiffs quer durch den Korridor geworfen zu werden. Sie setzte ihren Weg Richtung Medienraum fort und wurde von einer heftigen Aufwärtsbewegung in die Luft geworfen und fiel unsanft auf das Deck zurück, als Lee die Jacht durch eine weitere tiefe Schlucht zwischen den Wellenbergen manövrierte.
Nach einem anstrengenden Vorwärtshangeln, das ganze fünf Minuten dauerte anstatt wie sonst nur eine, schob sie sich durch die Tür in das plüschige Medienzimmer und stöhnte erleichtert auf. Shah, Fifi und Miguel saßen in den bequemen blauen Samtsesseln und unterhielten sich, soweit es bei dem lauten Dröhnen des Sturms möglich war.
Auf dem großen Bildschirm war die Radarübertragung von Rhino zu sehen, auf der man ein verzerrtes Abbild eines einzigen Schiffs erkennen konnte: Es war die Viarsa 1 , der Trawler, der einst dem Schwarzen Seehecht illegal nachstellte und nun den Menschen.
»Wie sieht’s denn so aus?«, fragte Fifi.
»Großartig«, sagte Jules. »Sie lassen sich nicht abschütteln. Wir haben gehofft, dass wir sie im Sturm verlieren, aber Rhino sagt, sie sind immer noch an uns dran. Sie sind solche Stürme gewohnt, wir nicht.«
»Nein«, stimmt Fifi zu. Das waren sie wirklich nicht. Mit der Diamantina waren sie immer vor den großen Stürmen geflüchtet oder hatten sich auf der Leeseite einer Insel eine Bucht zum Ankern gesucht und abgewartet. Nur ein- oder zweimal war Pete auf offenem Meer von einem Sturm überrascht worden, aber das war nichts gegen den Orkan, mit dem sie es hier zu tun hatten.
»Miguel, wie geht es deinen Leuten?«, fragte Jules. »Die haben sicher auch keine Erfahrung mit solchen Wetterbedingungen, vermute ich.«
Das Gesicht des Vaquero wirkte versteinert. Er schüttelte den Kopf. »Sie sind alle seekrank, Miss Julianne. Die Kinder haben Angst. Alle haben Angst, aber nur die Kinder geben es zu.«
Auf dem breiten Bildschirm sah Jules die Viarsa als undeutliches, weit entferntes Leuchtzeichen und fragte sich, ob auf dem anderen Schiff jemand war, der sich ebenfalls über einen Bildschirm beugte, um den Kurs der Aussie Rules zu verfolgen. So musste es wohl sein, sonst hätten sie sie schon längst verloren.
»Wenn das Wetter sich beruhigt und alle sich wieder hervortrauen, möchte ich, dass du und Shah alle ein weiteres Mal trainieren. Nur die wichtigsten Handgriffe,
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