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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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verlieh ihrem Gesicht häufig eine Schönheit ganz besonderer Art. Sie war aufrichtig, aber nicht indem sie, wie es sonst üblich war, an anderen Kritik übte – sie übte sie an sich selbst.
    »Glauben Sie, daß sie’s spürt?«
    »Bestimmt.«
    »Das ist etwas, wovon man sich nie eine Vorstellung macht. Daß man gegenüber dem eigenen Kind die gleiche Art von Antipathie empfinden kann wie gegenüber jemand anderem. Wäre es nicht in einem gewissen Sinne erlösend, älter zu werden und all diese netten kleinen Entdeckungen ein für allemal gemacht und hinter sich zu haben?«
    »Oh, aber ich bin bereits in diesem Stadium, schon lange!« Er war amüsiert und fühlte sich vielleicht ein wenig geschmeichelt, daß dem Mädchen entgangen war, daß sie verschiedenen Generationen angehörten.
    »Es muß eine Erlösung sein.«
    »Kann man nie wissen. Vielleicht erwartet einen immer noch der eine oder andere Schock.«
    »Aber glauben tun Sie das nicht?« – Mehr eine Feststellung als eine Frage. Er hatte das Gefühl, sie rede im Augenblick über die Ehe; die eigene; und seine, von der sie wußte, daß sie zweiundzwanzig Jahre lang gehalten hatte – die Leute nannten Olivia und ihn in einem Atemzug, aber es war eher eine Kombination zweierintakter Persönlichkeiten als der namenlose, doppelköpfige Frau-Mann-Organismus; vielleicht war das etwas, das sie, wenn auch ohne allzuviel Hoffnung, als Ziel für sich und ihren Neil gesetzt hatte.
    »Sie haben recht, nein. Aber manche Menschen werden im Alter unduldsamer und irgendwie wilder. Denken Sie an Tolstoi. Ein paar von den späten Yeats-Gedichten – mir kommt es so vor, als würde eine ziemlich große Anzahl von Menschen das Alter so erleben. Öfter als dieses Blabla vom Lebensabend. Mein Gott, was davon wär wohl schlimmer?« So als wäre das alles für sie weit entfernt, sagte sie: »Ich glaub nicht, daß ich sie gelesen habe. Eins ausgenommen. Von einem alten Mann …«
    »Das vom Teufel zwischen meinen Schenkeln?«
    »Ja – aber sicherlich ist Sex noch das kleinste Problem dabei. Es gibt andere Dinge, von denen man mit Sicherheit wissen möchte, daß man sie hinter sich hat.«
    »Und was ist mit den Dingen, die man sich nicht hat vorstellen können? Eine einfache Arterienverkalkung könnte aus Ihnen schon eine habgierige alte Hexe machen, die diejenigen, die sie früher einmal geliebt hat, verdächtigt, aus ihrem Portemonnaie Geld zu klauen.«
    »Aber können Sie sich vorstellen, daß Ihnen das jemals passieren könnte?« Sie mußten an einer Ampel anhalten, und sie wandte sich zu ihm, um ihn anzusehen – mit dem Gesicht einer jungen Frau, das gerade dabei war, sich für immer vom Ausdruck jener Gefühle und Selbstbeschränkungen prägen zu lassen, die ihre Gesichtszüge nach ihrem Bilde formten.
    »Natürlich nicht«; und die Gelassenheit des Mannes im mittleren Alter, die nichts war als die Hinnahme jener Schrecknisse, die noch auf ihn warteten, strafte seine Beteuerungen Lügen. Sie lächelte.
     
    Dando machte den Vorschlag, im Silver Rhino zu essen – er sah aus wie jemand, der unter eine Sache einen Schlußstrich zieht, als er aus der Küche kam, wo man sich nicht darüber einig werdenkonnte, ob es geheißen hatte, daß für diesen Abend im Haus ein Dinner vorbereitet werden sollte oder nicht. »Einer so, der andere so – hat keinen Sinn, darüber zu streiten.« Sie genehmigten sich im Garten einen Drink und zogen ihre Jacketts an, um bei Einbruch der Dunkelheit in die Stadt zu fahren. Festus lud sein Fahrrad auf den Gepäckträger auf dem Wagendach; er zumindest war unterwegs zu irgendeiner Art von Festlichkeit. »Was ist es denn, Festus?« fragte Dando, als sich Bray erkundigte.
    Im Stadion fand ein »Boxkampf« statt. »Ich muß um halb acht dasein.«
    »Weiß ich, weiß ich, nur keine Panik. Du wirst dasein.«
    Der Schwarze saß in einem weißen Hemd und in grauen Hosen im Heck des Wagens. Er roch nach Karbolseife. »Halb acht«, wiederholte er ungerührt.
    »Ich hoffe nur, du wirst es morgen mit dem Frühstück ebenso genau nehmen wie ich, wenn ich dich beim Stadion absetze.«
    Festus warf ihm einen Blick zu, als wollte er eigentlich antworten, kurbelte statt dessen aber das Fenster hinunter und rief hinaus. Ein leiser Schrei aus den Unterkünften des Personals war die Antwort. Festus brüllte, und diesmal kam der junge Bursche gelaufen, um die Tore zu öffnen und hinter dem Wagen wieder zu schließen. Als die Scheinwerfer eine breite, helle und durch den

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